Full text: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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sieht er Nichts, als eine Ebene, mit Flugsand bedeckt, den der Wind 
wie Meereswellen aufwühlt und fortwälzt. Weiß er auch, daß in¬ 
mitten derselben 20 bis 30 fruchtbare Inseln, Oasen genannt, liegen, 
bewässert von einer Quelle und bedeckt mit Palmen, die ihre Riesen- 
fnmeu gen Himmel strecken, er sieht sie nicht. Kein Baum, nicht ein¬ 
mal ein niederes Strauchgewächs, entkeimt dem brennenden Sande, 
um durch sein lachendes Grün das entzündete Auge zu erquicken. Kein 
Thier eilt au ihm vorüber, kein Vogel unterbricht die Grabesstille durch 
seinen melodischen Gesang, kein Bach murmelt in seiner Nähe, keine 
Menschenwohnung ladet ihn gastlich ein. Er steht an der Gränze der 
lebendigen Schöpfung. Nur der flüchtige, mit dem Sturmwind wett¬ 
eifernde Strauß, nur der gefleckte Leopard und der blutdürstige Tiger 
durcheilen die schauervolle Einöde, auf welcher der Fluch Gottes zu ruhen 
scheint. Und fällt wirklich das Auge auf einen Ruhepnnkt, so ist es 
ein nackter Felsenhügel mit einem Lager von Steinsalz, oder es sind 
übereinander geschichtete Basaltsteine, unter denen verkohlte Baum¬ 
stämme liegen. Blendend ist daher der Glanz dieser Wüste, die wie 
ein riesiger Brennspiegel den Sonnenstrahl zwiefach glühend zurück¬ 
wirft, und wenn dieser Glanz zuweilen gemildert wird, so geschieht es 
nur durch eine grausenerregende Erscheinung, nämlich durch Sand¬ 
wolken, die der Sturmwind zu Bergen aufthürmt, durch die glühende 
Atmosphäre wälzt, unl den erschöpften Wanderer im Nu zu begraben. 
Ueber sie breitet sich ewig ein reiner, wolkenloser Himmel aus, von 
dem kein labender Regentropfen herabfällt, zu dem keine Dünste em¬ 
porsteigen. Die Lust zittert und flammt daher vor Hitze, und wenn 
auch die Nächte schaurig kalt sind, so können sie doch die Lust nicht 
abkühlen, da keine Morgendämmerung Tag und Nacht verbindet, son¬ 
dern die Sonne fast senkrecht sich über den Horizont erhebt. Doch völlig 
unerträglich wird diese Hitze, wenn jener glühende, erstickende Wind, 
Samum genannt, sich erhebt. Seinem tödtlichen Gifte entgeht der 
Mensch nur durch plötzliches Niederwerfen auf die Erde. Man sollte 
glauben, eine solche Wüste habe noch kein menschlicher Fuß durch¬ 
pilgert, und dennoch ist sie dem geldgierigen und gewinnsüchtigen 
Menschen kein unübersteigliches Hinderniß. Freilich gelingt es ihm 
nur mit Hilfe des Kameels, jenes Schiffes der Wüste, das tagelang 
Durst ertragen, große Lasten rasch und sicher fortschleppen kann und 
meilenweit das Dasein einer Quelle wittert. Doch nicht einsam und 
allein darf es der Kaufmann wagen, die Breite dieser Wüste zu mes¬ 
sen; er muß sich an andere anschlleßen, tu Handelsgesellschaften oder 
Karavanen reisen, theils, um nicht von räuberischen Horden geplün¬ 
dert und getödtet zu werden, theils, um die Schrecken der Wüste selbst 
zu besiegen. Und auch tn dieser Gesellschaft bleibt die Reise durch 
dieselbe ein kühnes Wagniß. Eine ersehnte Oase darf nur verfehlt 
werden, was bei dem gänzlichen Mangel an Wegen sehr leicht mög¬ 
lich ist; der ersehnte Quell darf nur durch irgend einen unglücklichen 
Zufall ausgetrocknet sein; man braucht sich nur hinsichtlich der Ent¬ 
fernung der einen Oase von der anderen um 10—12 Stunden zu ver¬ 
rechnen; es dürfen nur die mitgenommenen Wasserschläuche durch ir-
	        
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