Full text: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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ohne Geräusch über lockere Steine und Rasen unbemerkt wieder herab, 
bls er nahe genug ist, um schießen zu können. Hat er eine Gemse 
getroffen, so eilt er dann herbei und zerhaut ihr die Sehnen, damit 
sie nicht entlaufen kann. Ist es möglich, -so ladet er das Thier ans 
seine Schultern, trägt es nach Hause und verzehrt hier mit seinen 
Verwandten in Lust und Freude das Fleisch. Ist der Weg zu be¬ 
schwerlich, um solche Last fortzubringen , dann zieht er dem Thiere 
nur die vortreffliche Haut ab. Das Fleisch bleibt als ein willkomme¬ 
nes Mahl für die Raubvögel liegen. 
Große Gefahr droht dem Gemsenjäger, wenn ihn die Gemsen 
gewahr werden. Schnell entfliehen sie über Abgründe, Felsen und 
Gletscher, und er verfolgt sie dann in oft ganz unbekannte Gegenden. 
Wissen sich die Gemsen nicht mehr zu retten, so stürmen sie in Mas¬ 
sen aus ihn ein und stürzen ihn in die Tiefe, wo er sich zu todte 
fällt, oder verhungern muß. Bei dieser Jagd kommen viele Men¬ 
schen um. — 
53. Unglück der Stadt Leiden. 
Leiden heißt schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat noch 
nie gewußt, warum, bis am 12. Jänner des Jahres 1807. Sie 
liegt am Rhein in dem Königreich der Niederlande und hatte an die¬ 
sem Tage elftausend Häuser, welche von 40,000 Menschen bewohnt 
waren. Man stand an diesem Tage noch auf, wie alle Morgen; der 
Eine betete sein: „Das walte Gott," der Andere ließ "es sein, 
und Niemand dachte daran, wie es am Abend aussehen würde, ob¬ 
gleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. 
Man aß zu Mittag und ließ sich's schmecken, wie alle Tage, obgleich 
das Schiff noch immer da war. Aber als Nachmittags der Zeiger 
aus dem großen Thurm auf halb fünf stand — fleißige Leute saßen 
daheim und arbeiteten, fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kauf¬ 
leute gingen ihren Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der 
Abendschule, müßige Leute hatten lange Weile und saßen im Wirths¬ 
haus beim Kartenspiel und Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für 
den andern Morgen, was er essen, was er trinken, womit er sich 
kleiden werde, und ein Dieb steckte vielleicht grade einen falschen Schlüs¬ 
sel in eine fremde Thür, — und plötzlich geschah ein Knall. Das 
Schiff mit seinen 70 Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die 
Luft, und in einem Augenblicke waren ganze, lange Gassen voll 
Häuser, mit Allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in 
einen Steinhaufen zusammengestürzt, oder entsetzlich beschädigt. Viele 
hundert Menschen wurden lebendig unb todt unter diesen Trümmern 
begraben, oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit 
allen Kindern, dee darin waren, zu Grunde. Menschen und Thiere, 
welche in der Nähe des Unglücks auf der Straße sich befanden, wur¬ 
den von der Gewalt des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen 
in einem kläglichen Zustande wieder auf die Erde. Zum Unglück brach 
auch noch eme Feuersbrunst aus, die bald an allen Orten wüthete 
und konnte fast nimmer gelöscht werden, weil viele Vorrathshäuser
	        
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