Full text: [Abt. 2 = Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Quinta, [Schülerband])

86 
A. Erzählende Prosa. IV. Sagen, a) Deutsche Sagen. 
hast, so komm zu mir in das ferne Venedig, und ich will dir von deinem 
Kummer helfen. Ich glaube, ich werde dich noch bei mir sehen". Er 
schied. Und siehe, nach langen Jahren zogen schwere Wolken über das 
kleine Haus, so daß der arme Mann keinen Retter mehr wußte aus 
Not und Sorgen als seinen alten Freund in Welschland. Da machte 
er sich auf, pilgerte hinab gen Süden und erreichte glücklich die große 
Meerstadt. Nun ward ihm aber bange, als er die weiten Straßen 
beschaute; wie wollte er seinen Freund ausfindig machen, dessen fremden 
Namen er längst vergessend Als er jedoch in halber Verzweiflung die 
köstlichen Paläste ringsum anstarrte, da rief es plötzlich aus einem der¬ 
selben: „Hans, Hans!" und ein reichgeschmückter, vornehmer Mann 
stürzte heraus, um den Staunenden zu umarmen. War das der Vene- 
tianer in den schlechten schwarzen Kleidern, den er einst beherbergt? 
Er war es und hatte ihn in seiner Fichtelberger Tracht sogleich wieder 
erkannt; und er führte ihn hinauf in die herrlichen Säle voll Pracht 
und Reichtum, die den armen Waldmann glauben ließen, alles sei ein 
Traum, und vergalt ihm nun alles tausendfach, was er dem Fremdling 
einst in seiner Heimat Gutes gethan. Reich beschenkt kam er zurück 
und führte von da an ein sorgenfreies Leben. 
71. Der treue Stallmeister. (18. Juni 1675.) 
Nach Ferdinand Bäßler. Sagen aus allen Gauen des Vaterlandes. Berlin, 1877. 
In der berühmten Schlacht bei Fehrbellin, durch welche der große 
Kurfürst Friedrich Wilhelm die Schweden aus der Mark Brandenburg 
hinausschlug, sah man diesen, die Pflichten eines Feldherrn mit denen 
eines tapfern Kriegsmannes vereinend, unbesorgt um seine eigene Per¬ 
son, überall, wo die größte Gefahr drohte, und oftmals in das tiefste 
Schlachtgetümmel verwickelt. Er ritt aber jenes Tages sein Lieblings¬ 
roß, einen milchweißen Schimmel, durch welchen er auch aus der Ferne 
jedermann leicht kenntlich wurde. Als nun sein Stallmeister Emanuel 
Froben wahrnahm, daß die schwedischen Kanoniere ihr Geschütz immer 
dahin richteten, wo der Kurfürst seinen Stand hatte, und dieser durch 
keine Vorstellung sich bewegen ließ, seinen Platz, wiewohl die Kugeln 
dicht um ihn her einschlugen, zu räumen, sann der treue Mann auf 
eine List, wie er die Gefahr vom Haupte seines Herrn ablenken könne. 
„Kurfürstliche Durchlaucht," sagte er, „Ihr Pferd ist von den Anstren¬ 
gungen dieses Tages nicht mehr fest auf den Beinen und wird beim 
Anrennen Ihnen schlechte Dienste leisten. Wollen Euer Durchlauchr 
nicht lieber meinen Braunen besteigen, der noch frisch bei Kräften ist?" 
So getäuscht wechselte der Kurfürst mit seinem Stallmeister das Roß, 
und kaum hatte Froben den Schimmel bestiegen und ihm die Sporen 
gegeben, als er von einer Stückkugel getroffen samt dem Rosse zusammen¬ 
brach. Er hatte sich geopfert, um seinen Fürsten für einen großen Sieg 
zu sparen. 
So erzählt die Volkssage, welche lange auch in den Geschichtsbüchern 
als Thatsache hingenommen worden. Geschichtlich beglaubigt ist, daß
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.