III.
Geschichtsbilder.
Deutschland — Bayern.
93. Einleitung in die Geschichte des Mittelalters.
Zu der Zeit, als das römische Reich
im Abendlande nach und nach zertrüm¬
mert wurde, zeigt die Geschichte dem
Beobachter Völker und Staaten von
ganz verschiedener Art. Einige erschei¬
nen in dem Glanz alter Namen und
in Ländern, bei welchen seit einer lan¬
gen Reihe von Jahrhunderten die Ge¬
schichte verweilt hatte, um Leben und
Bildung zu erkennen und zu bewun¬
dern; aber sie sind jetzt ohne sittliche
Kraft und geistige Regsamkeit, theils
einer zehrenden Fäulniß hingegeben,
theils in alter Starrheit befangen. An¬
dere hingegen, deren Name kaum zuvor
in den Jahrbüchern der Menschen er¬
blickt ward oder jetzt erst in sie hinein¬
kam, hervorgegangen aus Ländern, auf
welchen noch eine dicke Nacht, höchstens
eine schwache Dämmerung lag, drängen
sich mit frischer Kraft und jugendlicher
Fröhlichkeit, bald über den Trümmern
des römischen Reiches, bald in den Ur-
sitzen ihrer Väter, bald auch in Gebie¬
ten, welche in bisher unbekannten Ge¬
genden von ihnen unterworfen wurden,
zu Licht und Bildung heran. Unter
diesen neuen Völkern, in wel¬
chen sich das Leben fortent¬
wickelte, und die Menschheit
neue Seiten offenbarte, stan¬
den die Deutschen, so wie mit
der Gewalt des Schwertes, so
in Rücksicht eigenthümlicher,
wahrhaft menschheitlicher Bil¬
dung bei Weitem am höchsten.
Sie bestimmten die Zeit. Das Schönste,
Erhabenste und Edelste ging von ihnen
aus, und der Ertrag des Lebens der
Vorwelt erhielt durch sie eine eigen¬
thümliche Richtung. Selbst das Chri¬
stenthum, welches die alten Völker viel¬
leicht über ihr Unglück zu trösten, aber
sie keineswegs zu kräftigen oder umzu¬
gestalten vermochte, hat in ihnen seine
sittliche Stärke bewährt. Eine Zeit lang
schienen freilich die Araber den Deut¬
schen gleichzustehen oder sie zu über¬
treffen. Man kann sie ihnen jedoch
nur gleich wähnen — und auch nur
eine Zeit lang — wenn man auf Ge¬
walt und Herrschaft sieht, höchstens auf
die Menge erlernter Kenntnisse und er¬
worbener Fertigkeiten; keineswegs aber,
wenn man auf den Geist der Bildung
achtel, auf ihre Art, ihren Sinn und
auf die schaffende Kraft in den Völ¬
kern. Die Religion sogar, welche die
Araber so allgewaltig aus ihrem wun¬
dervollen Land zur Eroberung der Welt
trieb, ist in Rücksicht der Reinheit und
Bedeutung nicht mit dem Christenthum
zu vergleichen, zu welchem die Deutschen
sich bekannten; und wenn die Araber
dadurch einen Vorzug zu gewinnen
scheinen möchten, daß der Islam aus
ihnen hervorging, während das Christen¬
thum nur an die Deutschen gebracht
wurde, so ward auch dieser, nur halb¬
wahre Vorzug dadurch ausgewogen, daß
das Christenthum in seiner unendlichen
Tiefe einer unendlichen Entwickelung
fähig war, während der Islam erstarrt
und erstarrend, nur Bekenntnisse und