Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

111. Das Kaiserthum in seiner Machtfülle unter Heinrich III. 
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Ausdruck der Ruhe, des Ernstes und 
der Festigkeit. Au Geistesbildung war 
er seinen Zeitgenossen überlegen; er 
war in allen Wissenschaften damaliger 
Zeit bewandert und verstand mit ein¬ 
dringlicher Beredsamkeit zu sprechen. Nie 
verlor er die Selbstbeherrschung, nie 
ließ er sich durch Zorn zu Heftigkeit 
oder Härte hinreißen, sondern stets blieb 
er erhaben über menschliche Leidenschaf¬ 
ten. Er war von tiefreligiösem Geiste 
durchdrungen, beugte sich in Demuth 
vor Gott und suchte durch strengste 
Gewissenhaftigkeit sich der Gnade des 
Himmels würdig zu machen. Er be¬ 
folgte mit größter Strenge alle Gebote 
der Kirche, beichtete ohne Rückhalt seine 
Fehler und unterwarf sich den vorge¬ 
schriebenen Kirchenbußen. Nie setzte er 
seine Krone ans, nie vollzog er eine 
wichtige Handlung, bevor er nicht ge¬ 
fastet, gebeichtet und Absolution erhalten 
hatte. Obgleich bei seines Vaters Tode erst 
ein Jüngling von 22 Jahren, stand er doch 
schon in der Mannesreife geistiger Ueber- 
legenheit da und verdiente den ehrenvollen 
Beinamen, welchen ihm das deutsche Volk 
beilegte: „Linie der Gerechtigkeit." 
Kaum hatte er den Thron bestiegen, 
so mußte er gegen den übermüthigen 
Böhmenherzog Bretislav zu Felde 
ziehen, welcher dem unmündigen Kasi¬ 
mir Polen entreißen wollte. Obwohl 
sein erster Zug erfolglos war, erfüllte 
Heinrich, in einem zweiten Feldzuge 
gegen Prag ^vorrückend, die Böhmen 
mit solchem Schrecken, daß sie von Bre¬ 
tislav abfielen. Nun demüthigte dieser 
sich vor dem Kaiser; barfuß und im 
härenen Bußgewande warf er sich diesem 
auf der Fürstenversammlung zu Füßen 
und gelobte Unterwürfigkeit und Treue. 
Biel schwieriger noch waren des 
Kaisers Feldzüge nach Ungarn, 
wo verderbliche Thronstreitigkeiten aus¬ 
gebrochen waren. König Stephan, der 
das Christenthum unter den Magyaren 
begründet und ausgebreitet hatte, war 
ohne Hinterlassung eines Sohnes ge¬ 
storben, und ein Schwestersohn, Peter, 
folgte ihm auf dem Throne. Dieser 
aber erregte den Unwillen der Ungarn, 
insbesondere durch seine Begünstigung 
der Ausländer. Wild tobend erhob sich 
wider ihn die ganze Nation. Der Auf¬ 
ruhr brach in die Königsburg ein; von 
Peters Seite riß man einen seiner Hof¬ 
leute, Buda, der als das mächtigste 
Werkzeug der volksfeindlichen Absichten 
des Königs galt. Bor des Königs 
Augen zerfleischte man den Unglücklichen 
und seinen beiden Söhnen stach man 
die Augen ans. Entsetzt ergriff Peter 
die Flucht, kam nach Regensburg, warf 
sich Heinrich zu Füßen und flehte dessen 
Hülfe an. Es war kein geringer Triumph 
für Heinrich, nachdem er den Böhmen 
gedemüthigt, auch den Ungarn schutz¬ 
flehend an seinem Thron zu sehen. Die 
Ungarn hatten inzwischen einen gewissen 
Aba zum Könige erhoben. Unter die¬ 
sem gewann der alte Glaube wieder 
Raum und Alles kündete die Rückkehr 
jener wüsten Zustände an, aus welchen 
Stephan die Magyaren erhoben hatte. 
Aba, um Heinrich zuvor zu kommen, 
fiel in die bayerische Ostmark und in 
Kärnthen ein und kehrte beutebeladen 
zurück. Heinrich ließ diese Unthat nicht 
ungerächt. In drei Feldzügen demü¬ 
thigte er die Ungarn ebenso, wie früher 
die Böhmen; das Land von: Kahlen- 
berge bis zur Leitha mußte an Deutsch¬ 
land abgetreten und die Lehenshoheit des 
deutschen Kaisers über Ungarn anerkannt 
werden. Doch währte diese Abhängigkeit 
nur geraume Zeit, und wiederholte 
Feldzüge des Kaisers selbst vermochten 
nicht, dieselbe dauernd herzustellen. 
Das größte Verdienst erwarb sich 
Heinrich dadurch, daß er die großen 
Wirrnisse in der Kirche beilegte und die 
Wiederherstellung der zu darnaliger Zeit 
außerordentlich gesunkenen Kirchenzucht 
anbahnte. In Italien halten schon seit 
längerer Zeit die Grafen von Tuscu- 
lum nachtheilig auf die Papstwahlen 
eingewirkt und zuletzt der Kirche einen 
achtzehnjährigen Jüngling als Bene¬ 
dikt IX. zum Oberhaupte aufgedrängt, 
der des päpstlichen Stuhles ganz un¬ 
würdig war, und dessen Ansehen in 
bedauerlichster Weise erschütterte. Die 
erbitterten Römer halten ihn zwar Ver¬ 
trieben und einen Gegenpapst, Syl¬ 
vester III. gewählt; allein Benedikt 
war von seiner mächtigen Parthei zurück 
geführt worden. Da er aber auf's Neue
	        
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