112. Die Entführung des jungen Heinrich IV. 113. Charakteristik Heinrichs IV. 239
112. Die Entführung
Mit kräftiger Hand hatte Heinrich III.
es verstanden, die Herrschaft festzuhalten.
Er war das Haupt, der oberste Schirm¬
herr der Christenheit, ein Herrscher, wie
er des gewaltigen Reiches würdig war.
Der frühzeitige Tod des Kaisers war
ein schweres Unglück. Zwar hatte er
bereits seinen Sohn, einen fünfjährigen
Knaben, zum Könige des deutschen
Reiches ernennen lassen und ihm damit
die Nachfolge gesichert, aber es regten
sich sogleich nach seinem Tode die Herrsch¬
sucht und der Ehrgeiz der einzelnen
Fürsten, welche es für leicht erachteten,
an Stelle der verlassenen Wittwe und
deren unmündigen Kindes zu regieren
und ihre eigensüchtigen Pläne zu ver¬
folgen. Die Kaiserin Agnes, eine edle,
ftomme und kluge Fürstin, erkor den
Bischof von Augsburg zu ihrem Rath
und Vertrauten. Andere Männer sahen
dies ungern und trachteten darnach, den
zukünftigen Kaiser, der schon als Knabe
herrliche Anlagen verrieth, den Händen
der Mutter zu entreißen, um ihn in
ihrem Sinne erziehen zu können. Als
oberste Kirchenfürsten galten die Erz¬
bischöfe und unter diesen stand der von
Mainz voran. Zur Zeit als Heinrich III.
starb, regierte in Mainz der Erzbischof
Siegfried, ein wankelhafter Mann, dessen
Verhalten viel Unheil über den spätern
Kaiser Heinrich IV. gebracht hat. Ihm
überlegen an Energie und ruhigem
Scharfblick war der Erzbischof Hanno
von Cöln. Dieser war es, der den jun¬
gen, hoffnungsvollen König seiner Mutter
raubte, um ihn zu erziehen. Mit mehreren
Verschworenen besuchte Hanno die kaiser-
113. Charakter
Tausendfach hat die Geschichte den
Namen Heinrichs I V. genannt, und immer
von Neuem wird sie von seiner unglück¬
lichen Regierung berichten. Selten war
einem gekrönten Haupte ein halbes
Jahrhundert als Regierungszeit beschie-
den; und nie wohl ist ein so langes
Regiment in gleicher Weise eine unun-
des jungen Heinrich IV.
liche Wittwe auf einer ihrer Pfalzen,
welche auf der Rheininsel Kaiserswerth
lag. Schmeichelnd lockten die falschen
Fürsten den königlichen Knaben auf einen
reichverzierten Kahn. Kaum tritt der
junge König in das Schiff, so stößt man
auf Hanno's Wink vom,Lande. Der er¬
schrockene Knabe, für sein Leben fürchtend,
springt in raschem Entschluß aus dem
Kahn, um sich durch Schwimmen zu retten.
Er wäre ertrunken, wenn nicht einer der
Verschwornen ihn gerettet und ans das
Schiff zurückgebracht hätte. Hanno führte
den Knaben nach Cöln, und die Kaiserin
mußte sich in ihr Schicksal ergeben.
Von nun an sollte der jugendliche
König sich abwechselnd in verschiedenen
Theilen des Reichs aufhalten, und die
Sorge über seine Erziehung jedesmal
demjenigen Kirchenfürsten obliegen, in
dessen Sprengel der Knabe gerade war.
So kam Heinrich aus der Obhut des
strengen Hanno später zu Adalbert, dem
feingebildeten Bremer Erzbischof, dessen
Streben nach Glanz den umgekehrten
Einfluß auf den dereinftigen Kaiser aus¬
übte. Der allgemein menschlichen Natur
entsprechend, neigte sich Heinrich mehr
zu Adalbert, welcher es vortrefflich ver¬
stand, die ritterlichen Neigungen des
jungen Königs zu nähren, und der ihm
Gelegenheit verschaffte, sich auch that¬
sächlich darin zu üben. Das Leben,
welches die beiden auf der kaiserlichen
Pfalz zu Goslar führten, war die Ver¬
anlassung zu all den unseligen Zwistig¬
keiten und Kämpfen, die Heinrichs Re¬
gierung zu einer der unglücklichsten in
der deutschen Kaiserzeit gemacht.
Ixt Heinrichs IV.
terbrochene Kette von Gefahren, Kämpfen
und Leiden gewesen.
Nicht gewöhnliche Gaben vereinigten
sich in diesem Kaiser. Die Natur hatte
ihm eine hohe Gestalt, schöne Gesichts¬
züge, ein flammendes Auge verliehen.
Leicht gewann er durch ungesuchte Freund¬
lichkeit die Gunst der Masse, mit Schre-