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12.
Die alte und die junge Schwalbe
"Sieh deinen Vater, sagte eines Tages eine Schwalbe
zu ihrem Kinde, sich seinen Flug! Welche Schnelligkeit!
Eben streift er wie der Blitz über die Oberflache des Teichs
hinweg, und nun schwebt er schon höher als der Kirchthurm
in der Luft. Ahme ihm nach, mein Sohn, suche ihm zu
gleichen!"
„Ach, liebe Mutter, erwiederte die junge Schwalbe, das
ist viel zu schwer für mich, meine Mühe wäre doch nur
vergeblich, und meine Anstrengungen könnten mir sogar ge¬
fährlich werden. Wenn ich nur so fliegen lerne wie der
Sperling oder die Ente, das ist genug, ich werde schon so
viel Futter finden, wie ich brauche."
"Muthloser! zürnte die Mutter, wenn man jung ist,
soll man an nichts verzweifeln; selbst der Flug eines Adlers
erscheint dem Muthigen nicht zu hoch; kann er ihn auch
nicht erreichen, so wird er es doch wenigstens versuchen, es
ihm gleich zu thun."
' Wer nicht gebraucht der Jugend Kraft,
Im Alter auch nichts Großes schafft.
13.
Der hungrige Esel am Flrrße.
Der Esel kam an einen Fluß; am andern Ufer bemerkte
ör schöne Disteln, lind da ihn sehr hungerte, so hatte er
große Lust, sie zu fressen; aber, obgleich er schwimmen
konnte, und es nur also an ihm lag, sich ihrer zu bemächti¬
gen, so war er doch nach seiner Gewohnheit zu faul dazu.
"Ich will so lange warten, sprach er zu sich jelbst, und
mich an der schönen Aussicht weiden, bis der Fluß vorbei¬
geflohen ist." Er blieb den ganzen Tag liegen, der Fluß
hörte aber nicht auf zu fließen. Was sollte er nun machen?
Abgemattet von Hunger konnte er es nicht wagen, hin¬
über zu schwimmen, selbst wenn er auch wollte. Traurig