Full text: Deutsches Lesebuch (Theil 2)

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und stand endlich vor einem Thiere. Auf einmal schrieen die 
entfernter stehenden Hottentotten: Es ist ein Tiger! und ent¬ 
flohen. Schmidt und der eine Hvttentott schritten nun, da 
sie den Tiger noch nicht sehen konnten, und also nicht wußten, 
wohin sie sich wenden sollten, um ihm nicht in den Rachen 
zu laufen, langsam mit gespanntem Hahn vorwärts, um so¬ 
gleich schießen zu können, sobald sie den Tiger erblicken wür¬ 
den. Doch plötzlich sprang das Thier hervor, auf den Hot¬ 
tentotten los, riß ihn nieder, und biß ihn wüthend ins Gesicht. 
Schmidt legte nun zwar sogleich seine Flinte an, um zu 
schießen, allein da der umkrallte Hvttentott oben lag, so war 
es nicht möglich, so genau zu zielen, daß er den Hottentotten 
nicht verwundete oder tödtete. Kaum nahm der Tiger das 
angelegte Gewehr wahr, so ließ er den Hottentotten los, und 
sprang auf den Missionair zu. Dieser konnte von seiner Flinte 
jetzt keinen Gebrauch machen, warf sie daher weg, und hielt 
die Arme vor's Gesicht. Der Tiger packte nun seinen Ellen¬ 
bogen, doch behielt Schmidt noch Kraft genug, mit dem¬ 
selben Arme des Tigers Vorderfüße zu fassen, mit der andern 
Hand ihn bei der Gurgel zu packen, ihn niederzuwerfen, und 
auf seinen Bauch zu knieen. Jetzt schrie er laut um Hülfe, 
weil er fühlte, er würde den Tiger so nicht lange halten können. 
Auf Schmidt's Geschrei eilten nun die entflohenen Hotten¬ 
totten wieder zurück, und einer von ihnen legte seine Flinte 
unmittelbar neben Schmidt's Arme auf den Tiger an, und 
schoß ihm glücklich durch's Herz. Jetzt wurden die Verwun¬ 
deten nach Hause getragen. Schmidt's Blut war aufs 
heftigste entzündet, denn die von einem Tigerbiß herrührenden 
Wunden unterscheiden sich dadurch von andern, daß die Zahne 
und Krallen dieses Thieres, gleich denen der Katzen, alle Theile, 
welche sie fassen, zerreißen. Der Missionair zählte vom El¬ 
lenbogen bis zum Handgelenk acht Wunden, und an einigen 
Stellen waren die Zähne bis tief in den Knochen eingedrückt. 
Man ließ ihm durch Aderlaß so viel Blut, als möglich war, 
ohne ihn zu tödten, bis sich keine Entzündung mehr zeigte; 
nach einiger Zeit war er wieder hergestellt. 
Der Hottentotte, obgleich furchtbarer zerfleischt, hatte 
weniger von Entzündung zu leiden. Schon zum dritten Male 
befand er sich in den Klauen eines Tigers, doch diesmal wäre 
er verloren gewesen, wenn nicht der brave Missionair sein 
Leben für ihn gewagt hätte, denn leicht hätte dieser entfliehen 
können, als der Hottentotte von dem Tiger angefallen war.
	        
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