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auch die Erzieher der römischen Jugend wurden; da begann, un¬
geachtet der ernstere Sinn der altern Römer sich dieser Rich¬
tung widersetzte, eine gelehrte und vielseitigere Bildung. Eben
so begünstigten Lurus und Reichthümer, welche aus allen Theilen
der alten Welt nach Rom strömten, diese Umgestaltung des rö¬
mischen Charakters nicht minder, als der Ehrgeiz der Römer,
welche die wissenschaftliche Bildung als Mittel zur Erreichung politi¬
scher Zwecke benutzten. Die herrlichen Erzeugnisse des griechischen
Geistes in der Literatur erschlossen dem edleren und empfänglicheren
Theile der Nation eine neue Welt und weckten ungeahnte Gefühle.
Viele Große Rom's wurden Begünstiger und Förderer der grie¬
chischen Wissenschaft; sie unterstützten griechische Gelehrte, Dichter
und Philosophen und suchten mit den Kunstschätzen auch Geist
und Sprache des besiegten Volkes nach Nom zu verpflanzen.
Eine eigentliche römische Literatur entstand deshalb erst um
das Jahr 240, in Folge jener Bekanntschaft mit den Griechen,
indem durch Livius Andronicus eine kunstgemäßere, der
griechischen nachgebildeten Poesie aufkam, welcher bald auch Ver¬
suche in Prosa, und zwar historische Werke in annalistischer Form,
folgten. — Bereits in der Zeit vom Tode Sulla's bis zum
Tode des Augustus erlebte die römische Literatur durch den Einfluß
der griechischen ihr goldenes Zeitalter. In der ersten Hälfte
dieser Periode (der Ciceronianischen) blühete besonders die pro¬
saische Literatur und erreichte in Beredsamkeit und Geschichte
ihren Höhepunkt; in der zweiten (der Augusteischen) die poeti¬
sche, unter dem Einflüsse des Augustus und anderer Freunde
und Beschützer der Wissenschaften. Insbesondere wurde das Feld
der epischen und lyrischen Poesie angebaut. Übrigens blieb die
römische Literatur, wie früher, größtentheils Abbild und Wieder-
schein des griechischen Geistes. — Das silberne Zeitalter
von Augustus Tode bis zu Hadrian zeigt uns das allmälige
Sinken der römischen Literatur. Mit der sittlichen Entartung
entarteten auch der Sinn und der Geschmack für das Wahre,
Gute und Schöne. Man wollte das classische Zeitalter poch
überbieten, und dieses Streben artete in Übertreibung, Künstelei
und rhetorischen Schwulst aus. Dieser verdorbene Geschmack
zeigte sich nicht bloß in der Poesie, die ihre Einfachheit und
Natürlichkeit verloren hatte, sondern auch in der Prosa. Fast
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