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ein Blitz einschlug und das Feuer der Begeisterung zu hellen
Flammen anfachte. Die alte Hoffnung der Polen auf Frank¬
reichs Unterstützung steigerte die Kampflust. Da erschien im
October 1830 ein Befehl des Kaisers, das polnische Heer auf
den Kriegsfuß zu setzen. Man fürchtete, daß dasselbe als
Vorhut gegen Frankreich verwandt, und Polen von russischen
Truppen besetzt werden sollte. Die Verschworenen, der Be-
völkerung der Hauptstadt gewiß, beschlossen die Ausführung
ihres Planes.*)
Zwar hatte man eine dunkle Kunde von der Verschwö¬
rung, und der Großfürst Konstantin war nicht ohne Warnung
geblieben. Am 29. November Abends sechs Uhr wollte man
losschlagen. Die Russen waren in der größten Sorglosigkeit.
Während ihre Offiziere sich in Theatern oder in Gesellschaften
befanden, und die Soldaten in den Kasernen sich selbst über-
lassen waren, hatte der Großfürst Konstantin den Abend in
seiner gewohnten Umgebung auf seinem Lustschlosse Belvedere
heiter begonnen, ohne die mindeste Gefahr zu ahnen, als sich
plötzlich das Ungeteilter entlud. Die Verschworenen hatten
die Rollen bertheilt; ein Theil hatte die Ermordung des Vice-
königs, ein anderer die Erstürmung des Zeughauses, ein drit-
ter die Überrumpelung der Kaserne übernommen. Das An-
zünden eines am Ende der Stadt gelegenen Brauhauses sollte
das Signal fem. Unter dem Rufe: „Tod dem Tyrannen!"
stürzten gegen zwanzig Verschworene nach dem Belvedere,
tödteten den Vicepräsidenten und einen General, der dem
Großfürsten ähnlich sah, und wollten schon in Constantms
Gemach dringen, als dieser durch die Geistesgegenwart seines
Kammerdieners gerettet ward, der die Thür verriegelte und
seinen Gebieter in einer Dachkammer in Sicherheit brachte.
Constantin, von dem Vorfall aufs äußerste erschreckt, verließ
auf geheimen Wegen das Schloß und die Stadt. Während
die Verschworenen die Rettung Constantms als ein Unglück
ansahen, scheiterte auch die Entwaffnung der russischen Re-
gttnenter, die sich vor ihren Kasernen in Schlachtordnung auf-
gestellt hatten. Aber die Hauptsache, die Erstürmung des
*) Wie unvorsichüg man dabei verfuhr, beweist der Umstand, daß
am Lustschlosse des Großfürsten ein Zettel angeschlagen ward: ,.Bon
Neujahr an zu vermiethen!"