Contents: Erzählungen aus der neuesten Geschichte (1815 - 1881) (Teil 3)

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ein Blitz einschlug und das Feuer der Begeisterung zu hellen 
Flammen anfachte. Die alte Hoffnung der Polen auf Frank¬ 
reichs Unterstützung steigerte die Kampflust. Da erschien im 
October 1830 ein Befehl des Kaisers, das polnische Heer auf 
den Kriegsfuß zu setzen. Man fürchtete, daß dasselbe als 
Vorhut gegen Frankreich verwandt, und Polen von russischen 
Truppen besetzt werden sollte. Die Verschworenen, der Be- 
völkerung der Hauptstadt gewiß, beschlossen die Ausführung 
ihres Planes.*) 
Zwar hatte man eine dunkle Kunde von der Verschwö¬ 
rung, und der Großfürst Konstantin war nicht ohne Warnung 
geblieben. Am 29. November Abends sechs Uhr wollte man 
losschlagen. Die Russen waren in der größten Sorglosigkeit. 
Während ihre Offiziere sich in Theatern oder in Gesellschaften 
befanden, und die Soldaten in den Kasernen sich selbst über- 
lassen waren, hatte der Großfürst Konstantin den Abend in 
seiner gewohnten Umgebung auf seinem Lustschlosse Belvedere 
heiter begonnen, ohne die mindeste Gefahr zu ahnen, als sich 
plötzlich das Ungeteilter entlud. Die Verschworenen hatten 
die Rollen bertheilt; ein Theil hatte die Ermordung des Vice- 
königs, ein anderer die Erstürmung des Zeughauses, ein drit- 
ter die Überrumpelung der Kaserne übernommen. Das An- 
zünden eines am Ende der Stadt gelegenen Brauhauses sollte 
das Signal fem. Unter dem Rufe: „Tod dem Tyrannen!" 
stürzten gegen zwanzig Verschworene nach dem Belvedere, 
tödteten den Vicepräsidenten und einen General, der dem 
Großfürsten ähnlich sah, und wollten schon in Constantms 
Gemach dringen, als dieser durch die Geistesgegenwart seines 
Kammerdieners gerettet ward, der die Thür verriegelte und 
seinen Gebieter in einer Dachkammer in Sicherheit brachte. 
Constantin, von dem Vorfall aufs äußerste erschreckt, verließ 
auf geheimen Wegen das Schloß und die Stadt. Während 
die Verschworenen die Rettung Constantms als ein Unglück 
ansahen, scheiterte auch die Entwaffnung der russischen Re- 
gttnenter, die sich vor ihren Kasernen in Schlachtordnung auf- 
gestellt hatten. Aber die Hauptsache, die Erstürmung des 
*) Wie unvorsichüg man dabei verfuhr, beweist der Umstand, daß 
am Lustschlosse des Großfürsten ein Zettel angeschlagen ward: ,.Bon 
Neujahr an zu vermiethen!"
	        
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