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wie die Sturmwelle; mit gleichförmigem Steigen hebt sie sich am senkrechten Fel-
senufer und sinkt lautlos, wie sie erschien, wieder in ihr Niveau zurück. Anders
freilich, wo zerrissene Klippen sich ihr in den Weg stellen, wo sie auf flachem Sand¬
boden dahin rollt. Hier entsteht die dem Schiffer so unbequeme, vom Sturm un¬
abhängige Brandung, z. B. der von allen Seefahrern gefürchtete Surf an Suma¬
tras Küste. Wirklich gefahrdrohend wird aber diese Fluthwelle erst da, wo sie mit
anderen Strömungen in Kampf geräth, oder wo sie an größeren Inseln gespalten
wird, und die beiden Arme sich später in entgegengesetzter Richtung fortschreitend
bewegen. Das Erstere geschieht an den Flußmündungen, das Andere bildet die
großen Meereswirbel. Von jener eigenthümlichen Erscheinung der Fluthwelle an
den Mündungen der Flüsse hat Prinz Adalbert von Preußen in einer leider nur
als Manuskript gedruckten Reise nach Brasilien eine interessante Schilderung ge¬
geben: Dem Schiffer tritt am Ausflusse des Amazonenstroms die höchst wunder¬
bare, noch nicht genügend erklärte Naturerscheinung, die bekannte Pororoca ent¬
gegen. Statt nämlich regelmäßig zu steigen, erhebt sich die durch die stark aus¬
strömende Wassermasse des ungewöhnlich anhaltend ebbenden Flusses allmälig
angestauete Fluth in wenigen Minuten zu ihrer größten Höhe, überwindet den aus¬
gehenden Strom, drückt ihn in die Tiefe hinab, wälzt sich dann über ihn fort und
einem Meere gleich den Fluß aufwärts mit einem Getöse, welches anderthalb Mei¬
len hörbar ist. Oft nimmt diese Alles verheerende Fluthwelle die ganze Breite des
Stromes ein, zuweilen auch nicht. Da, wo sie auf Untiefen stößt, erhebt sie sich zu
12—15 Fuß, an sehr tiefen Stellen senkt sie sich dagegen und verschwindet fast
gänzlich, um später an einem seichten Orte wieder aufzutauchen. Solche tiefe Stel¬
len nennt der Schiffer „Paperas": Wartestellen, weil hier selbst kleinere Fahrzeuge
vor der Wuth des Pororoca sicher liegen. Hinter sich läßt dieser die Gewässer in
demselben Zustande der Ebbe und vollkommener Ruhe zurück, in dem dieselben sich
vor dieser plötzlichen Erscheinung befanden. Aehnliches findet sich auf den Flüssen
der Hudsonsbay; am bekanntesten ist sie an der Mündung der Dordogne in die Ga-
ronne, wo die Einwohner diese in zwei Minuten zur Höhe eines Hauses ansteigende
und mit der Schnelligkeit eines Wettrenners den Fluß hinaufbrausende Welle Mas-
caret oder Uat d’eau, „die Wasserratte," nennen. — Als zweite Folge der Fluth¬
welle gleichsam im Kampfe mit sich selbst erkennen wir die Meeresstrudel, von denen
die Alten die Charybdis (jetzt Calofaro) kannten; es ist einer der schwächsten Wirbel,
über welchen größere Schiffe ohne Gefahr hinweggehen. Ein hier unter K.
Friedrich von Sicilien vorgefallenes Ereigniß hat Schiller in eine schöne Ballade
„der Taucher" verarbeitet. Bedeutender ist der gefürchtete Maelstrom an der Nor¬
wegischen Küste, ein Strudel, der vier Meilen im Umfang hat und jedes Schiff, das
er erfaßt, rettungslos in seinen Schlund zieht. Er entsteht dadurch, daß die in den
Kanal eingedrungene und an Dänemarks Westküste nach Norden fortrollende Fluth¬
welle der um Irlands Nordküfte herumgegangenen, durch Nordwestwinde verstärk¬
ten Fluth begegnet.
Noch bleibt eine dritte Bewegung über, welche beständig das Meer in Un¬
ruhe erhält, durch einander mengt und verhindert, daß es bei den zahllosen Leichen
von Pflanzen und Thieren, welche in seinem Schooße begraben werden, nie in fau¬
lige Zersetzung übergehen kann, deren mephitische Dünste in wenig Tagen alles
Leben auf Erden tobten würden. Jene belebende Bewegung geht nun abermals von
der Sonne aus, die nicht nur durch ihre Anziehungskraft die Planeten und Kometen
in ihrem ewigen Reigen führt, sondern auch durch ihre erwärmenden Strahlen den
irdischen Kreislauf ver Luft und des Wassers hervorruft. Jene Circulation des
Wassers, das sich in Dampfform zu den Wolken erhebt und als Regen herabsenkt,