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Katharinenkanal ganze Flotten von Fahrzeugen, die mit dieser gebrechlichen Waare
beladen sind. Die ganze Generation, die sich auf den Straßen freudetrunken be¬
wegt, schalt und ißt Eier. Kein echter Russe naht dem andern, ohne ihm mit dem
Friedenskusse und dem üblichen Spruche: „Christus ist erstanden!" nicht auch ein
gefärbtes Ei zu überreichen. An allen Straßenecken stehen große Körbe mit sol¬
chen Eiern zum Verkauf aufgestellt. Die gewöhnlichsten sind dunkelroth gefärbt,
dann kommen die mit Zwiebelschale gefärbten. Das sind die Eier des gemeinen
Mannes, die er nach dem Empfange gewöhnlich sogleich verspeist. Nun steigert
sich aber der Lurus dieses Geschenks nach dem Reichthums des Gebers und nach
dem Stande des Empfängers. Man nimmt möglich starke Gänseeier, macht oben
und unten in dieselben zwei Löcher, bläst durch diese das Eiweiß und Eigelb heraus,
zieht ein seidenes Band hindurch und bemalt oder beklebt die Schale mit Heiligen¬
bildern, und verziert sie noch mit Flittergold. Diese Geschenke werden sorgsam
aufbewahrt und hängen als Schmuck in den Zimmern. Nun kommen die künst¬
lichen Eier, oft mit einem theuern, werthvollen Inhalte. Man fertigt sie von
Zucker, Glas, Porzellan, Elfenbein, Mammuthsknochen rc. Sie sind in der Mitte
zu öffnen, und darin befindet sich das eigentliche Festgeschenk: ein kleines silbernes
Besteck, goldener Schmuck, Juwelenringe und dergleichen; manche enthalten wieder
scherzhafte Ueberraschungen: eine Schlange schnellt aus dem Ei hervor, sobald man
es öffnet; aus einem andern steigt ein kleiner Luftballon zu der Decke des Zimmers
empor, in dessen Gondel ein niedlicher Amor sich schaukelt. Eine junge Dame
bekam einst ein Ei von milchweißem, halb durchsichtigem Glase von einem jungen
Manne geschenkt. Von außen betrachtet, schienen sich in demselbem kleine Kränze
von Vergißmeinnicht zu befinden. Als sie aber das Geschenk öffnete, lag in dem
untern Theile eine blühende Rose, in deren Kelche sich ein kleiner Hohlspiegel be¬
fand, der hell und klar das freundliche Antlitz der Ueberraschten wiedergab.
Das größte Kunstwerk dieser Art war von Elfenbein gearbeitet und ungefähr
von der Größe eines Gänseeis. Wenn man es öffnete, blieb der obere Theil mit
dem untern durch drei kleine goldene Säulchen verbunden. In dem untern Theile
befand sich das Grab des Erlösers; die Engel hielten an demselben die Wache.
Leise erklang nun die Melodie des Kirchengesangs: „Christus ist erstanden." Das
Grab öffnete sich, der Erlöser hob sich aus demselben empor und schwebte zu den
Himmelshöhen des obern Theils hinauf, aus dem kleine Engelein sich ihm entgegen-
senkten. Mit den letzten Klängen des frommen Auferstehungsliedes schloß sich das
Ei von selbst wieder. Müller.
22. Konstantinopel und die Türken.
Die „Stadt Konstantins" des Großen, erbaut auf der Stelle des alten Byzanz,
hat eine wundervolle Lage auf der europäischen Seite des schlangenartigen Bosporus,
der oft nur in einer Breite von kaum % deutsche Meile zwei Meere verbindet und
zwei Welttheile trennt. Zwei von den 18 Vorstädten, Skutari und Chalcedon,
liegen gegenüber auf asiatischem Boden. Das Ganze umfaßt 5 deutsche Meilen.
Beide Ufer wetteifern an Fruchtbarkeit des Bodens und Schönheit der Thäler,
Hügel und Berge; daher die Stadt auch von den Türken Stambul, d. h. Diamant
der Welt genannt wird. Von dem in sieben Hügeln gespaltenen Vorgebirge, einem
Ausläufer des Balkan, blickt man gegen Osten auf den Bosporus und das schwarze
Meer und gegen Süden auf das Marmormeer (?roxontis) und dessen Abfluß, den
Hellespont. So viel jedoch auch die Natur für die Stadt gethan hat, so glanzend
auch ihr Anblick vom Hafen aus durch ihre Paläste, ihre 485 Moscheen, durch die
vergoldeten Minarets, die hohen Wipfel der Cypressenbäume und den Wald von