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Da greifen ein die Harfner, da hebet an der Chor,
Welch Zaubermeer von Tönen erfüllt nicht da sein Ohr,
Wie wogt es durch die Hallen, wie schallt'S so fromm und mild,
Als zögen Engel siegend auf Wolken über'm Dom.
Und mild und immer milder umschallt ihn der Gesang,
Und rauscht und wogt und klinget um ihn der Saiten Klang;
Wohl von dem Schwertgriff gleitet ihm da die Hand gar sacht,
Noch nie hat ihn ergriffen so wundersame Macht.
Da klingt das Sanctus-Glöcklein im hellen Silberton,
Herr Karol neigt zur Erden das Haupt mit güld'ner Krön',
Die Töchter beugen alle sich auf den Marmelstein,
So beugen sich dem Weste die Lilien weiß und rein.
Der Priester aber hebet auf das hochwürd'ge Gut;
„Das ist der Leib des Sühners, das ist des Sühners Blut!"
Und was da aufrecht stehet, ob Jungfrau oder Mann,
Wirft sich auf's Antlitz nieder, schlagt an die Brust sich an.
Und mit der Menge stürzet hin auf das Knie sobald
Des starken Sachsenführers wildriesige Gestalt,
Denn — ach! ein selig Ahnen, ein' nie gefühlte Lust
Erwacht mit einem Male in seiner finstern Brust.
Und wie vollbracht das Opfer, gestärkt der Beter Chor,
Da hebt, wohl neu erquicket, sich jung wie Alt empor;
Doch voll Begeift'rung raffet, der Recke, wild und graus,
Der grimme Sachsenracher sich auf und rufet aus:
„Ja, Karl, dein Gott ist größer, als Sachsens Gott es ist,
An mir hat er's bewahret in dieser kurzen Frist,
Jch,^den als Feind getrieben die Rache in dies Haus,
Will als ein Freund nur wieder und als ein Christ hinaus."
Und als er dies gesprochen, da weicht das Volk voll Scheu,
Doch freudig ruft der Karol: „Das ist der S a ch se n - L e u! “
Und eilt herbei und drücket ihn an die Brust mit Macht,
„Held Wittekind, dein Engel hat dich hierher gebracht!"
„Der Herr hat dir gegriffen mit macht'ger Hand an's Herz,
Denn ihm ist Wachs und Binse des Panzers hüllend Erz,
Er hat dich auserwahlet, du Heldenbrust von Stein,
Und ich — der Kaiser Karol, will selbst dein Täufer sein."
„Sei forthin Sachsens Herzog, und herrsche frei und gut,
Es bleib' für uns're Kirche ein guter Schirm dein Muth,
Und dein Geschlecht erblühe, mit Deutschland stets im Bund,
Und deinen Namen preise noch spat der Sänger Mund!"
I. N. Vogl.
9. Roland.
In den alten Heldenliedern hat sich die Geschichte von dem Feldzuge Karls
des Großen gegen Sarazenen, Araber, in Spanien, gewöhnlich schlechtweg Heiden
genannt, und von den Thaten seines berühmten Feldherrn Roland, seines angebli¬
chen Verwandten erhalten und in eine unmuthige Sage umgestaltet. Karl hatte