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die Vorübergehenden zu sehen. An der Stelle der festen Stadt Jericho,
welche der Herr einst trotz ihrer starken Mauern in die Hände Israels gab,
stehen jetzt einige elende Hütten, die von einem gänzlich verworfenen und
verderbten Menschenschläge bewohnt werden.
Von Jericho aus gelangt man über Gilgal, wo Israel seine erste
Lagerstätte hatte, nach Bethabara, wo Johannes taufte und Jesus sich
von ihm taufen ließ. Alljährlich um die Osterzeit versammeln sich tausende
von Pilgern aus allen Ländern der Erde und ziehen an den Jordan, um
dort zu baden, wo Jesus getauft ist. Sobald der Zug den Jordan erreicht
hat, stürzen sich Männer, Weiber und Kinder, alle mit weißen Kleidern an¬
gethan, in den Strom und tauchen unter Singen und Beten mehrere Male
unter. Dann kehren sie fröhlich heim; denn sie meinen, durch das Bad im
Jordan die Vergebung aller ihrer Sünden sicher erlangt zu haben.
Dem Gefilde Jericho gegenüber auf der Ostseite des Jordan lag das
Gefilde Moab, wo Israel sein Lager hatte, bevor es über den Jordan
ging.
4. Das Salzmeer.
Der große See im Süden des Landes, in welchen der Jordan sich er¬
gießt, heißt das Salzmeer oder das todte Ate er. Er ist zehn Meilen
lang, zwei Meilen breit und rings von Gebirgen umgeben, welche theilweise
eine Höhe von 3000 Fuß erreichen. Durch diese Lage, zumal die Oberfläche
seines Wassers mehr denn 1000 Fuß unter dem Spiegel des mittelländischen
Meeres liegt, wird die Hitze so stark, daß man auf die Meinung gekommen,
die sechs Millionen Tonnen Wassers, die ihm täglich zugeführt werden sollen,
verdunsteten schnell und trügen so für den Wasserstand wenig aus. Über
dem See schwebt beständig ein dicker, dumpfer Nebel, welcher ein unheim¬
liches Aussehen hat und, je nachdem er von der Sonne beschienen und vom
Winde bewegt wird, dem Auge die seltsamsten Täuschungen bereitet. Die
Lage des Sees bringt es mit sich, daß, während auf den Höhen der umlie¬
genden Berge die Erzeugnisse der gemäßigten Zone gefunden werden, am
Fuße derselben Südfrüchte wachsen, welche, um zu reifen, afrikanischer Hitze
bedürfen. Das Wasser des Sees enthält mehr Salz, als irgend ein Wasser
der Erde- Das hat mancher schon erfahren, der im todten Meere badete
und sich nicht schnell genug abtrocknete; ehe er es sich versah, war er von
oben bis unten mit einer Salzkruste überzogen. Außerdem enthält es eine
Menge Schwefel, Salpeter und andere Mineralien, die es zu einer wahren
Lauge machen, in welcher kein lebendiges Wesen aushalten kann. Die
nächsten Umgebungen des Sees sind öde und traurig; denn soweit das
Wasser in der Regenzeit über die Ufer tritt, bleibt eine Salzkruste zurück,
welche auch keinen Grashalm aufwachsen läßt. Einst war die ganze Gegend
wie ein Garten Gottes. Als aber die Sünden ihrer Bewohner überhand
nahmen und nicht zehn Gerechte mehr in Sodom zu finden waren, ließ Gott
Feuer und Schwefel vom Himmel regnen und kehrte die Gegend um, daß
das blühende Thal Siddim versank und Wasser über die Stätte floß, wo