Full text: Lesebuch für die Volks- und Bürgerschulen in Mecklenburg-Schwerin

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jährlich in der Schweiz vor, ohne daß er Schaden anrichtet; wenn 
er aber eine größere Ausdehnung annimmt, so verbreiteter namen¬ 
loses Elend über eine weite Gegend. Einer der gräßlichsten Fälle 
dieser Art ereignete sich in neuerer Zeit am Nuffiberge. Er ist 
zugleich der bekannteste, weil er in seinem ganzen Verlauf von 
mehreren Menschen in unmittelbarster Nähe beobachtet worden ist. 
Es war am 2. September 1806, als eine Gesellschaft von Deut¬ 
schen, Engländern und Franzosen, welche die Schweiz bereisten, in 
die Gegend des Ruffiberges gelangte. Schon mehrere Tage vorher 
hatten Arbeiter, welche dort Holz fällten, wahrgenommen, daß selt¬ 
same Spalten im Boden waren, wo sie früher solche nicht bemerkt 
hatten. Nachmittags vier Uhr kamen die Reisenden in die Nähe 
des Dorfes Goldau und hatten den seltsamen Anblick, daß von 
der Höhe des Berges mächtige Felsblöcke und ganze mit Holz 
bestandene Stücke Erdreichs sich ablösten und mit Krachen in die Tiefe 
stürzten. Als die Führer dies sahen, warnten sie dringend, weiter 
vorzugehen. Ein Theil der Gesellschaft ließ sich warnen und blieb 
zurück; ein anderer Theil ging weiter vor, um den wunderbaren 
Anblick ganz in der Nähe zu haben. Plötzlich fängt der Abhang 
des Berges an sich zu bewegen; man sieht deutlich: das ganze Erd¬ 
reich mit Wäldern und Feldern, mit Dörfern und Hütten, mit Men¬ 
schen und Thieren senkt sich herab, anfangs langsam, dann schneller 
und immer schneller; endlich stürmt es wie der Blitz dahin, heulend, 
donnernd, zischend, brausend, und erfüllt die ganze Umgegend mit 
Staub und Nacht und Finsterniß. Felsblöcke fliegen gleich Splittern 
durch die Last. Eine Menge Trümmer stürzte in einen benachbarten 
See mit solcher Gewalt, daß das Wasser thurmhoch aufbrauste und 
über den Gipfeln der höchsten Bäume zusammenschlug. Die ganze 
Gegend wurde verändert; eine Quadratmeile Landes wurde mit 
Trümmern, zum Theil hundert Fuß hoch bedeckt; von Goldau und 
andern umliegenden Ortschaften kann man nicht einmal die Stätte 
angeben, wo sie gelegen haben. Über vierhundert Menschen fanden 
ihren Tod unter den Trümmern. Diejenigen von jener Reisegesell¬ 
schaft, welche vorwärts gegangen waren, wurden mit in das Ver¬ 
derben hineingerissen. Die andern hatten aber auch so viel gelitten, 
daß mehrere in eine schwere Krankheit fielen, ein Engländer sogar 
wahnsinnig wurde. Einige von ihnen reisten von da nach Frank¬ 
reich, wo eben eine Heerschau über 40000 Mann Truppen gehalten 
wurde. Das Rasseln der Trommeln und der Donner der Kanonen 
war betäubend; jenen erschien es wie der Lärm, den die Kinder 
mit ihren Weihnachtssachen machen: so furchtbar war der Donner 
gewesen, den sie kurz vorher in der Schweiz gehört hatten.
	        
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