Full text: Lesebuch für die Volks- und Bürgerschulen in Mecklenburg-Schwerin

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Es fühlten den Vernichter 
Die Deutschen auch unb flohn 
Und drängten sich nur dichter 
Um ihren Fürstensohn. 
Sie hatten, ihn zu schützen, 
Nicht ihre Waffen mehr: 
Da drängten sie als L-tützen 
Sich selber um ihn her. 
Aus ihren Leibern schlossen 
Sie einen Ring um ihn, 
Daß vor des Frosts Geschossen 
Er könnte sicher ziehn. 
Und wo vor ihren Treibern 
Sie ruhten aus bei Nacht, 
Ward warm aus ihren Leibern 
Ein Wall um ihn gemacht. 
Sie boten alles Feuer 
In ihren Adern aus: 
Die Liebe hielt mit treuer 
Gewalt ihr Blut im Laus. 
So zogen ohne Sorgen 
Sie bis zum letzten Ort: 
Da, als es wurde Morgen 
Zogen sie nicht mehr fort. 
Ihr junges Herz erwachte, 
Der Fürst, der warm geruht, 
Und seinen Dank er brachte 
Für Gottes treue Hut. 
Da sah er die Genossen, 
So früh sonst munter doch, 
Die lagen eng geschlossen 
Um ihn im Kreise noch. 
Und als er hin sah wieder, 
Sah er mit stummem Schmerz: 
Es waren alle Glieder 
Gestorben für das Herz. 
Da fuhr ein kaltes Schaudern 
Durchs warme Fürstenherz: 
Er durfte doch nicht zaudern, 
Er schied und rief mit Schmerz: 
Schlaft wohl, und euch begrabe 
Mit sanften Flocken Gott, 
Damit kein gierger Rabe 
Mit euch hier treibe Spott. 
Und wenn die Flocken schmelzen, 
Send er der Wogen Heer, 
Daß sie gelind euch wälzen 
Hinab ins heilge Meer. 
Dort ruhet sanft gebettet, 
Wie ich bei euch geruht, 
Da sterbend ihr gerettet 
Mir habt des Lebens Gluth. 
Doch unvergeßlich bleibe 
Dies Bild mir eingeprägt, 
So lang in seinem Leibe 
Durch euch mein Herz nun schlügt, 
Die ihr gelehrt mich habet, 
Mit welcher treuen Gluth 
Ist innerlich begäbet 
Der Deutschen Glieder Muth. 
Wenn sie in fremdem Lande 
So starke Funken sprühn, 
Wie erst, wenn sie im Brande 
Der eignen Freiheit glühn! 
Dann sollen diese Funken 
Noch wuchern, die ich sog, 
Wann ich einst freudetrunken 
Dies Schwert für Deutschland zog. 
92. Erhebung Deutschlands. 
Während die französischen Tagesblätter sich bemühten, das 
erlittene Unglück so viel als möglich zu vertuschen, liefen dumpfe 
Gerüchte durch Deutschland, daß die Sachen in Rußland erschrecklich 
schlimm ständen. Die Erzählungen wurden mit Eifer weiter getragen 
und brachten eüle ungeheure Aufregung hervor. Aber kein Mensch 
wagte auszusprechen, was er dachte, aus Furcht vor den französi¬ 
schen Spionen, die überall herumhorchten. Als es sich endlich nicht 
mehr verheimlichen ließ, daß eine der schönsten Armeen der Welt 
aus die kläglichste Weise zu Grunde gegangen war, da bekannte das 
ganze Volk wie aus einem Munde: „Das hat Gott gethan!" 
Noch waren alle voll von dem, was in Rußland geschehen 
war, da lief schon eine neue Kunde durch das Land und stärkte 
die Hoffnung, daß jetzt die Zeit der Knechtschaft zu Ende sei. Die 
preußischen Hülsstruppen unter General 9) o xi waren in die russischen 
Ojtseeprovinzen gesandt worden, um die große Armee von der Seite 
zu decken. Diese Truppen kamen, als die Russen bis an die Grenze 
vordrangen, in Gefahr, abgeschnitten und gefangen zu werden. 
Viel Zeit war nicht zu verlieren. Ohne sich lange zu besinnen, 
schloß Jork am 30. December mit den Russen einen Vertrag, wonach 
seine Truppen zwei Monate lang weder angreifen, uod) angegriffen 
werden, oder wie man es nennt, neutral bleiben und während dieser 
Zeit in Lithauen sich aufhalten sollten. In Berlin erschraken alle
	        
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