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Laube weiß nicht, was Ton und Musik ist. — Die Vor¬
stellungen , welche unsere Seele durch die Sinne erhält,
sind aber nicht immer deutlich und richtig. Oft trügen
oder täuschen uns unsere Sinne, d. h. sie stellen der Seele
einen Gegenstand anders vor, als er wirklich ist. Wenn
man einen geraden Stock in das Wasser taucht, so erscheint
er in demselben krumm; ein Wald sieht in der Ferne blau;
den Gang einer Katze verwechseln wir bei der Stille der
Nacht mit dem Gange eines Menschen, so wie in der Däm¬
merung die gelbe und weiße und andere Farben mit einan¬
der. An dieser Täuschung sind oft die Sinneswerkzeuge
selbst Schuld, wenn sie durch Ausschweifungen, Krank¬
heiten oder zu starke Reizungen geschwächt, oder sehr ver¬
unreinigt sind. Ein unreines Äuge sieht schlecht, ein ver¬
stopftes Ohr hört nicht gehörig, eine verstopfte Nase kann
nicht riechen , und eine unreine Zunge nicht richtig schme¬
cken. . Oft sind auch die Umstände, unter denen unsere
Sinne wahrnehmen, Schuld an der Täuschung. In
der Dunkelheit der Nacht, in der Ferne, im Nebel, in zu
Hellem Lichte sehen wir nicht deutlich; bei zu großem Ge¬
räusch hören wir nicht genau; und wo zu viele Dünste un¬
sere Nase treffen, da kann sie dieselben nicht gehörig un¬
terscheiden. Am öftersten aber ist an der Täuschung der
Sinne gewiß die Seele selbst Schuld, indem sie entweder
nicht lange genug bei einem Gegenstände verweilt, oder
durch Leidenschaften beunruhigt ist, und daher zu vorschnell
urtheilt. Der Furchtsame sieht jeden Stein für einen da¬
liegenden Räuber, jeden abgeschälten Baum für ein Ge¬
spenst an, hört in dem Geräusche einer Maus schon die
Diebe sein Haus ausräumen, so wie der, welcher einen
Freund erwartet, jeden Kommenden für denselben hält.
Um uns gegen die Täuschungen der Sinne, welche
falsche Begriffe und Urtheile veranlassen, zu bewahren, ist
es nöthig, daß wir überhaupt auf alle Art unsere Gesund¬
heit zu erhallen suchen, uns vor allem hüten, was die
Sinneswerkzeuge zu sehr angreift, dieselben gehörig rein
erhalten, sie fleißig, aber mit Vorsicht üben, jeden Ge¬
genstand genau und mit ruhigem Gemüthe beobachten, und
lieber öfter die Beobachtung wiederholen, ehe wir urtheilen.