Als sie nach zwei Stunden, auf Fritzens Fürbitte,
wieder frei gelassen wurde, bat sie ihren Bruder und ihre
Eltern mit herzlicher Reue um Verzeihung. Der Water
faßte sie bei der Hand, und zog sie zu sich.
Liebes Riekchen, du bist so ein gutes, hübsches Mäd¬
chen. Aber dein böser, böser Jähzorn! Du glaubst nicht,
wie er dein Gesicht entstellt! Du siehst im Zorne so wider¬
lich, so häßlich aus, daß ich dich nicht ansehen mag. Auch
die größte Schönheit wird durch Zorn in Häßlichkeit ver¬
wandelt. Aber er schadet auch der Gesundheit und ver¬
kürzet das Leben. Und, was noch das Schlimmste ist,
er beraubt den Menschen seines Verstandes, daß er nicht
überlegt, was er thut, oft thörigt und schlecht handelt,
und dadurch oft sich und Andern schadet. Bekämpfe ja
den Zorn bei Zeiten!
Sie that's, und war noch einmal so liebenswürdig,
verständig und gut, als ehemals.
Seid langsam zum Zorn, denn des Men¬
schen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist.
Lac. 1, 19,20.
O, wie wird das Herz beschweret
Durch des Zornes Leidenschaft!
Zanksucht, Zorn und Haß verzehret
Nach und nach des Lebens Kraft,
Hemmt den Lauf yon unsern Jahren,
. Macht zum Himmel ungeschickt.
Herr, du wollest mich bewahren,
Daß des Jähzorns Raserei
Nie des Herzens Meister sei.
51* Rachsucht und Edelmuth.
Sieh' einmal, was ich für einen schönen Schmetter¬
ling gefangen habe, sagte die kleine Luise zu ihrem Bru¬
der. Er saß da an den Rittersporn, da schlich ich mich
sachte hinzu, und erwischte ihn/ D, o! rief Karl, das
ist der Schwalbenschwanz, den mußt du mir geben. Nein
Karl, sprach Luise, ich gebe dir ihn nicht; du spießtest das
arme Thier nur auf eine Nadel; sieh, das thut mir so /_
weh, wenn es da so viele Tage zappelt, und'mit den Flu«
geln schlagt, und doch nicht sterben kqnn.