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Das heilige römische Reich deutscher Nation.
weise von der scholastischen Theologie ab und geriethen gleichfalls auf
Abwege und Einseitigkeiten. Häretische Anschauungen und Bestrebungen
endlich hatten das ganze Mittelalter hindurch niemals aufgehört (Gott¬
schalk, Amalrich von Bena, David von Dinanto, Katharer, Albigenser
und Waldenser), gleichfalls seit dem 14. Jahrhundert erlangten diese
auch Bedeutung in weitern Kreisen; das Wehen einer neuen Zeit, des
Zeitalters der Reformation wurde stärker und stärker (Wittes, Huß).
Die Hauptvertreter der mittelalterlichen Wissenschaft blieben die
Mönche; unter den neu entstehenden Mönchsorden zeichneten sich vor
allen die Dominikaner und Franziskaner durch ihre wissenschaftlichen Lei¬
stungen aus, über alle Dom- und Klosterschulen erhoben sich die Hoch¬
schulen, Universitäten. Die berühmteste theologische Schule war zu
Paris; alle großen Theologen haben dort studiert, meistens auch gelehrt.
Um berühmte Lehrer sammelten sich viele Schüler (Paris soll manch¬
mal 20,000 Studenten gezählt haben), nicht bloß Jünglinge, sondern der
Mehrzahl nach Männer, und dies machte es nothwendig, daß eine be¬
stimmte gesetzliche Verfassung für die Schüler eingeführt wurde. Der
Geist jener Zeit schuf immer selbst; die Studierenden bildeten eine Ge¬
nossenschaft, und hatten ihre Unterabtheilungen in den sogenannten Na¬
tionen oder Landsmannschaften. Wie die Genossenschaften der anderen
Stände ihre eigenen Magistrate besaßen, so die Studierenden ihren
Senat, Rektor, Kanzler, und wie überall der Weg auswärts geöffnet,
aber nur dem Erprobten erlaubt war, so stieg der ausgezeichnete Stu¬
dierende die Stufen der akademischen Würden hinan, deren höchste er
als Doktor erreichte. Eine solche große Schule wurde von dem Lan¬
desherrn mit Gebäulichkeiten und Einkommen ausgestattet, und begü¬
terte Männer hielten es für verdienstlich, den Bestand derselben durch
Schenkungen zu sichern; der Papst aber war es, welcher eine solche
Schule sanktionierte und überwachte, denn sie sollte dazu dienen, christ¬
liche Erkenntniß und christliche Gesinnung zu pflegen und zu verbreiten.
Aus der großen theologischen Schule zu Paris erwuchs nachher die erste
Universität (Universitas Ltlläiorum), so genannt, weil der ganze Umfang
des menschlichen Wissens, jede Wissenschaft daselbst gelehrt werden sollte;
aber jede Wissenschaft sollte sich innerhalb des christlichen Kreises be¬
wegen, darum blieb der Papst Oberaufseher und Beschützer der Universi¬
täten, deren Gründung jedoch, worin die Fürsten wetteiferten, dem fol¬
genden Zeiträume angehört. Neben Paris waren Bologna als Schule
der Rechtskunde, Salerno und Montpellier als medicinische berühmt und
aus allen Ländern besucht; die ältesten deutschen Universitäten sind Prag
(1348), Wien (1365) und Heidelberg (1386).