Full text: Vaterländisches Lesebuch

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nicht eben so, sondern weil er nur dem Müsfiggang und gutem 
Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler 
kann nach dem alten Sprichwort nie verirren; er muß in ein 
schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr darin bekommt, als 
' er unterwegs an den Sohlen zerreißt, zumal wenn er barfuß geht. 
Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, sobald als möglich 
wieder an die Landstraße zu kommen, wo reiche Häuser stehen und 
gut gekocht wird. Denn der Hallunke war nicht zufrieden, wie 
ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von 
einer mitleidigen und frommen Hand gereicht'wurde, sondern wollte 
nichts essen, als nahrhafte Kieselstein-Suppen. Wenn er nämlich 
irgendwo ein braves Wirthshaus an der Straße stehen, sah, wie 
zum Exempel das Posthaus in Krotzingen, oder den Baselstab in 
Schlingen, so ging er hinein und bat ganz demüthig und hungrig 
um ein gutes Wasfersüpplein von Kieselsteinen, um Gotteswillen, 
Geld habe er keines. — Wenn nun die mitleidige Wirthin zu ihm 
sagte: «Frommer Pilgrimm, die Kieselsteine könnten euch hart 
im Magen liegen!",so sagte er: «Eben deswegen! die Kieselsteine 
halten länger an, als Brot, und der Weg nach Jerusalem ist weit. 
Wenn ihr mir aber ein Gläölein Wein dazu beschceren wollt, um 
Gotteswillen, so könnt ich's freilich besser verdauen." Wenn aber 
die Wirthin sagte: «Aber, frommer Pilgrim, eine solche Suppe 
% kann euch unmöglich Kraft geben!" so antwortete er: «Ei, wenn 
ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wär's' 
freilich nahrhafter." Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe 
und -sagte: «Die Tünklein sind doch nicht so gar weich geworden," 
so sagte er: «Ja, und die Brühe sieht gar dünn ans. Hättet 
ihr nicht ein paar Gabeln voll Gcmüs darein, oder ein Stücklein 
Fleisch, oder beides?" Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin 
auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: 
«Bergelt's euch Gott! Gebt mir jetzt Brod, so will ich die Suppe 
essen." Hierauf streifte er die Aermel seines Pilgergewandes zu¬ 
rück, setzte sich und griff an das Werk mit Freuden, und wenn 
er Brod und Wein und Fleisch und Gemüs und die Fleischbrühe 
aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser und Tropfen, 
so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Aermel ab, 
oder auch gar nicht, und sagte: «Frau Wirthin, eure Suppe hat 
mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht 
einmal bezwingen kaun.' Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. 
Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel 
mitbringen von dem Meeresstrand von Ascalon oder eine Rose 
von Jericho.
	        
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