Full text: Europa's Länder und Völker

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sen, und stecken daher nicht selten die Verordnungen der Regie, 
rung, die sie zu weiterer Bekanntmachung erhalten, in ihren 
Kasten, wo sic rubig liegen bleiben. So werden denn auch noch 
immer neue Häuser und Piekarnien von Holz aufgeführt, ob 
cs gleich schon längst verboten ist. 
5. Der polnische Edelmann. 
Nach den Spaniern ist wohl keine andere Nation sosehr von 
ihrem Adel eingenommen, als die polnische^ und bei keiner Na, 
tion ist oft der Adel ärmer. Es ist nichts seltenes, adelige Ge- 
meindorfer anzutreffen, an denen zwanzig bis hundert Edelleute 
Theil haben, die großcntheils nur einige Stücke Land besitzen, 
die zusammen keine vier und zwanzig Dukaten werth sind. Man, 
che unterscheiden sich in ihren Wohnungen von den Bauern nur 
durch eine Stube, die sie außer der Piekarnia noch in^ihrcm 
Hause haben; Viele haben aber auch nicht einmal diese Stube. 
Und doch ist es unglaublich, wie große Stücke ein solcher Edel¬ 
mann, trotz seiner Armuth, auf seinen Adel halt. Bei einem 
Wortwechsel kann Einer den Andern einen Halunken, einen 
Schelm, einen Schurken schimpfen und mit noch hundert an¬ 
dern verächtlichen Namen belegen, und dieser wird immer nur 
mit Schimpfwortcn antworten. Sobald aber einer Chlop 
(Bauer) betitelt wird, so ist das Losungswort zu einem Hand¬ 
gemenge gegeben. Wenn bei gerichtlichen Verhandlungen in ei¬ 
nem adeligen Dorfe Einer zum Stillschweigen verwiesen wird, 
kommt oft der Fall vor, daß er mit trotziger Miene antwortet: 
Warum sollte ich nicht das Recht haben, in meinem Dorfe re¬ 
den zu dürfen? 
Auch auf das andere Geschlecht erstreckt sich dieser Adelstolz. 
Ein Mädchen, das eine halbe Hufe Land, fünfzig Dukaten an 
Werth, besitzt, wird lieber einen armen Schlucker von Adel hei- 
rathen, als einen bürgerlichen Beamten, der einen ehrenvollen 
Charakter und einen anständigen Gehalt hat. Sie zieht dem 
Wohlstände ein glänzendes Elend vor. 
Ein polnischer Edelmann, dessen ganze Wäsche und Garde¬ 
robe auf dem Zaune hangt, ist oft hochmüthiger als mancher 
deutsche Graf, der auf Silber speist. — Nicht selten trifft man 
Edelleute an, die ihrer großen Armuth wegen als Knechte bei 
den bemittelten Gutsbesitzern dienen und im Schweiße ihres 
Angesichtes Mist aufladen und auf den Acker führen ; und den, 
noch sehen sie den reichsten Bauer kaum über die Achsel an. Nie 
wird ein Edelmann, wäre er auch noch so arm, wie ein Bür¬ 
gerlicher oder ein Jude ein Handwerk treiben; bei dem bloßen 
Gedanken an eine solche Erniedrigung möchte ihm schon das 
Blut in den Adern erstarren.
	        
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