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den seyn. Wirklich nehmen sich die Nachkommen der Katt en
und Cherusker, wenn man sie auf dem Lande, in den Wäl¬
dern und auf den Feldern aufsucht, schlecht genug aus. Die
Armuth und das Elend in vielen Orten sollen unbeschreiblich seyn,
denn die ehemaligen Landgrafen hatten es mehr auf eine glänzende
als auf eine gute Regierung angelegt, und lieber für prächtige als
nützliche Anlagen gesorgt. Es wurden schwere Steuern eingetrie¬
ben, und die eingegangenen Geldsummen wieder an die, denen
sic abgenommen worden waren, zu fünf Prozent verliehen.
Wie dem nun sey, so haben die wackern Hessen bei dem allen
ihren Ruhm als tapfere Krieger und gute Unterthanen behauptet.
Sie sind meistens reformirrer Religion; doch leben auch viele Lu¬
theraner, Katholiken und Juden unter ihnen. In dem ganzen
Lande sind 53 Srädre und 1128 Dörfer und Flecken, in denen
man sich viel mit Spinnen und Leiuwandweben beschäftiget.
Der Kunstfleiß der Hessen äußert sich besonders in ihren Ei¬
senwerken, ihren Stahl- und Eiscnwaarenfabriken, dann in ihren
Ledermanufakturen, ihren Pottaschensiedereien u. s. w. In den
Städten Kassel und Hanau verfertigt man auch viele Galan¬
teriewaaren in Gold und Silber; die vornehmsten Handelsartikel
bestehen aber in Leinwand, Garn, Eisen- und Stahlwaaren, und
in den beiden eben genannten Städten gibt es sehr bedeutende
Handelshäuser.
Der Weißenstein oder Wilhelmshöhe bei Kassel.
Wilhelmshöhe, sonst auch der Weißenstein genannt,
ist ein kurfürstlich-hessisches Lustschloß, eine Meile von Kassel,
mit einer großen Gartenanlage, die vorzüglich durch den soge¬
nannten Winterkasten berühmt ist. In einer gut bespann¬
ten Chaise fährt man in weniger als einer Stunde auf der treff¬
lichen Chaussee von der Stadt aus dahin.
Auch ich besuchte in Gesellschaft Mehrerer diesen reizenden
Ort. Vor Tische besahen wir erst die untern Partiecu, das chi¬
nesische Dörfchen, die Schweizerei, eine Menge einzelner Anla¬
gen und endlich das Schloß, dessen Zimmer an Pracht und Ele¬
ganz vollkommen mit dem erhabenen Styl harmoniren, der im
Aeußern allgemein unverkennbar ist. Ueberall sieht man hie»Ge-
schmack mit Zierlichkeit und Ordnung aufs innigste verbunden.
Wir speisten im Gasthause. Der Tisch war gut und reichlich
besetzt; gesellige Freude beseelte Alles; der Geist der Fröhlichkeit
ruhete auf jedem Gesichte, und rauschende Tanzmusik trug mit
bei, den Genuß des Mahles noch angenehmer zu machen.
Nach Tische erhob sich der größte Theil der Gesellschaft, um
zum Herkules hinauf zu steigen. Man denke sich einen ansehnli¬
chen ziemlich steilen Berg, der Winter kästen, oder Habichts¬
berg genannt, auf dessen Gipfel, wohin zwei große steinerne
Treppen führen, zwischen welchen sich eine breite Kaskade befin-