Full text: Europa's Länder und Völker

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Einem solchen Karren, der nur zwei Räder hat, muß wie dem 
prächtigsten Staatswagen ausgewichen werden, und man schämt 
sich dieses seltsamen Fuhrwerks so wenig, daß oft die angese¬ 
hensten Leute vom Mittelstände darauf fahren. 
So wie in London, entsteht zu Paris durch alle diese Fuhr¬ 
werke und die Volksmenge, welche durch die Hauptstraßen flu- 
thet, oft ein entsetzliches Gedränge, besonders bei außerordent¬ 
lichen Gelegenheiten, wie z. B. einer Hinrichtung, einer Hof¬ 
feierlichkeit u. s. w. Als der vorige unglückliche König Ludwig 
XVI. sich mit der östreichischen Prinzessin Marie A ntoinet¬ 
te vermählte, wurde ein großes Feuerwerk auf dem Platze Lud¬ 
wigs XV. abgebrannt,' wobei sich eine sehr große Menschen¬ 
menge als Zuschauer einfand. Durch einen unglücklichen Zu¬ 
fall erschreckt, gerieth mit einem Mal ein großer Haufe in Be¬ 
wegung, und wollte durch eine breite Gasse sich entfernen. Durch 
einen noch unglücklichern Zusammenfluß von Umständen, wollte 
ein anderer eben so großer Haufe durch eben diese Gasse nach 
dem Platze hin. Beide Parteien begegneten sich; es entstand 
ein entsetzliches Gedränge; eine große Anzahl Kutschen gcrie- 
then hinein, Menschen wurden zertreten, Pferde erstochen und 
gegen 600 Personen elendiglich erdrückt. 
3. Lebensart der Pariser. Bestellung des Tisches. 
Das Leben der geschäftigen Volksklasse zu Paris fängt Mor¬ 
gens um acht Uhr an, wo es in allen Häusern und in allen 
Straßen lebendig wird. Um zehn Uhr trinkt der Große seine 
Chocolade. Der gemeine Bürger setzt sich selten vor zwei Uhr 
Nachmittags an den Mittagstisch, der Kaufmann nicht vor 
drei, der Große erst um vier. Um neun oder zehn Uhr geht 
man zum Abendessen. Gemeiniglich speiflt man da, wenig¬ 
stens unter den bessern Ständen, in der Gesellschaft einer An¬ 
zahl vertrauter Freunde, und verlebt mit ihnen, unter Becher- 
klang und lustigen Gesprächen, die schönsten Stunden des Ta¬ 
ges. Oft bleibt man die ganze Nacht sitzen, darum hört man 
auch bis zum dämmernden Morgen die Wagen rollen. 
Der gemeine Mann arbeitet angestrengt die ganze Woche 
hindurch für seine Familie. Am Sonntag aber geht er fröhlich 
nach Vaugirard oder einem andern Vergnügungsort, und ver¬ 
trinkt da in lustigen Gesellschaften einen Theil der Früchte sei¬ 
nes Fleißes. Gemeiniglich bringt er ein Räuschchen mit nach 
Hause, oft aber auch, wie unsere ehrsamen deutschen Bürger, 
einen tüchtigen Rausch. 
Wer keine eigene Wirthschaft führt, und solcher Personen 
gibt es zu Paris eine ungeheure Menge, der begibt sich bei 
einem Bürger, oder einem Gastwirt!), oder in einer Garküche 
in die Kost. 
Die Wirthstische (tables d’hote) sind größteutheils sehr ma-
	        
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