20 
Viertes Kap. Historische Kritik. 
heimischer, folglich mehr Schwierigkeit, die Wahrheit zu erfahren. Hin¬ 
gegen wird er — wenn er nur nicht gerade von einer feindlichen Nation 
ist — unparteiischer, als der Einheimische in seiner Erzählung seyn. Ein 
vornehmer Mann, welcher mit Großen umgeht, ihren Charakter und ihre 
geheimeren Verhältnisse kennt, den Parteienkampf und die Intriguen der Höfe, 
die Plane und Leidenschaften der Feldherren u. s. w. von Nahem sieht und 
erkennt, hat mehr Leichtigkeit, den eigentlichen Gang und die eigentlichen 
Triebfedern der Begebenheiten zu kennen, als ein gemeiner Mann, der 
sich nur unter den niederen Ständen umhertreibt, der höchstens die Werk¬ 
zeuge, niemals aber die bewegenden Kräfte zu beobachten Gelegenheit hat, 
oder als ein einsamer Gelehrter, welcher von seiner Studirkammcr aus 
die Welthändcl zu beurtheilen, und das verborgene Spiel der Interessen, von 
denen sie geleitet werden, zu verstehen, durchaus nicht im Stande ist. 
So auch Amt und Würde und oft auch eine untergeordnete Stelle. 
Wer selbst die Hand mit im Spiele hat, wer den Verhandlungen beiwohnt, 
seine eigene Stimme gibt, selbst befiehlt und leitet, oder auch, wer Re¬ 
dakteur oder Bewahrer der öffentlichen Aktenstücke, wer Archivar, Biblio¬ 
thekar, Gcheimschreibcr, fürstlicher Kammcrhcrr — Kammerdiener oder Beicht¬ 
vater ist, der erfährt oft Dinge, die dem fleißigen, aber isolirten, armen, 
außer Wirkungskreis gcsezten Manne kein möglicher Eifer, kein Zeitungsblatt 
in der Welt zu lehren vermag. Im Gegentheil ist aber oft ein solcher Welt¬ 
bürger, ein solcher isolirter Stubengelehrter von manchen Vorurtheiten und 
Interessen frei, welche der reinen Wahrheitsliebe und unbefangenen Erzählung 
der besser unterrichteten, aber durch mancherlei Berührungspunkte in die Be¬ 
gebenheit selbst verflochtenen, Zeugen entgegenstehen. 
§. 38. Fortsezung. 
Der Unterschied, welchen Fähigkeiten und Kenntnisse in Ansehung 
der Glaubwürdigkeit eines Zeugen machen, ist deutlich. Ein Pinsel glaubt 
Alles, und erzählt treuherzig ein jedes Mährchen nach, das ihm ein anderer 
Pinsel oder Schalk aufgebunden hat; da hingegen ein Mann von Talent und 
Geistesbildung das Wahre vom Schein und von der Lüge leicht unterscheidet, 
überall zuerst prüft und wägt, und dann erst ausspricht. Groß sind die 
Forderungen, die man in dieser Rücksicht an historische Zeugen macht, wenn 
ihr Ausspruch von Gewicht seyn soll. Je mehr sie sich dem Ideal eines guten 
Geschichtschreibers nähern (§. 13.), desto stärker ist ihre Autorität. Jnsofem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.