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Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
der Sammlungen von Provinzial- und Stadt-Rechten, wie denn zumal das
baie rische Nechtsbuch 1329 von König Ludwig, das östreichische oder
Wiener-Stadtrccht von 1433, das diethmarsische und andere merk¬
würdig sind. Einfalt, die oft bis zur Rohheit geht, Verdunkelung des
natürlichen Menschenverstandes durch Aberglauben und Vorurthcil, Beleidigung
der Menschlichkeit durch grausame Barbarei, einzelne wohlcrdachte Bestim¬
mungen unter vielen tadclswürdigcn Gebräuchen — dies sind die Charaktere
dieser Rechte, in welchen uns auch manche, schon in früheren Zeiten aufge¬
nommene, Begriffe ans dem römischen und kanonischen Rechte begegnen*).
Am kläglichsten sah cs aus mit den Gesezen in Kriminalsachen.
Zwar blieb noch der herrliche Grundsaz von deu paribus curiae in Aus¬
übung , doch ward er schon einigermaßen beschränkt. Die Einführung der
fremden Rechte hatte den Prozeß künstlicher gemacht, man fühlte das Be¬
dürfniß gelehrter Richter. Dennoch dauerten noch viele Ordalien, zumal
der gerichtliche Zweikampf, fort, und wahr ist's, ihr allgemeiner Ge¬
brauch wäre weit minder verwerflich gewesen, als die schreckliche Tortur,
welche jezt aufkam. Die Gerichtsstühle, bestimmt, das Recht und die Unschuld
zu schüzen, wurden jezt zu Mörderhöhlen. Peinigen galt für Recht ver¬
walten. So auch in den Strafen meist Uebertreibung und Grausamkeit.
Der alte Charakter der Strasgeseze, Komposition, wich jezt — theils als
Folge der geänderten politischen Verhältnisse und des auskommenden Be¬
griffes von Staatsbürgern oder Unterthanen, theils als Wirkung der
fremden Rechte—- jenem der Züchtigung. Aber cs wurde das richtige
Maß verfehlt, hier die Abhaltung, dort die Schwere der Sünde als
vollgiltigcs Strafprinzip betrachtet, und moralische, wie bürgerliche Verbrechen
derselben strengen Gerichtsbarkeit unterworfen. Daher wurden fleischliche
Vergehungen nicht selten mit dem Feucrtode gebüßct, Falschmünzer zu Tode
gesotten, viele schauderhafte Martern erdacht, ja, willkürlich, ohne voraus¬
gehendes Gcscz verhängt zur Strafe von schwereren oder verhaßteren Ver¬
brechen. Selbst Unschuldige (wie die Mitbewohner des Hauses, worin eine
Nothzucht begangen worden, ja auch das Vieh, welches darin gewesen) traf
die Wuth mehr, als die Strenge der Strafgerichte.
*) Zumal in Rücksicht dcr Erbrechte, der ehelichen Verhältnisse und des Hcirnths»
Verbotes bis zum 7ten Grad dcr Verwandtschaft u. s. w