593
Der polnische Freiheitskampf.
gestellt, das russische Kaiserhaus des polnischen Thrones verlustig zu erklären.
Auf einen so entscheidenden Schritt war Niemand gefaßt; dumpfe Erstarrung
nahm den Vorschlag ans, der unter dem Vorwände, daß dem Reichstage nach
der Verfassung nicht das Recht des ersten Antrages zustehe, für den Augen¬
blick zurückgewiesen wurde. Bald überzeugten sich aber auch die Gemäßig¬
testen, daß man bereits zu weit vorangegangen war, um nicht die einzige
Wahrscheinlichkeit der Rettung darin zu sehen, daß man jede Möglichkeit der
Rückkehr abschnitt. Um das Hinderniß zu beseitigen, das dem Antrage Sol-
tyks entgegenstand, wurde ein Gesetzentwurf angenommen, der den Kammern
das Recht des ersten Antrages einräumte. Tages darauf kamen zwei Pro¬
klamationen des russischen Fcldmarschalls Diebitsch nach Warschau, der an der
Spitze eines zahlreichen und wohlgcrüstetcn Heeres im Anzüge war. Diese
Proclamationen, an das polnische Volk und an die polnische Armee gerichtet,
kündigten den bevorstehenden Einmarsch der russischen Truppen an. Volk
und Armee wurden an ihre Pflichten gegen den Monarchen erinnert; die Ein¬
wohner aufgefordert, die rechtmäßigen Behörden wieder einzusetzen, wie sie
vor dem Aufstande gewesen wären, alle Waffen abzuliefern und den einrücken¬
den Truppen ihre Unterwerfung durch Abordnungen mit weißen Fahnen an¬
zuzeigen, die Soldaten, Ofsicierc und Generale, die Fahnen des Aufruhrs zu
verlassen und sich den russischen Kriegern anzuschließen, die jeden Reuigen
mit offenen Armen aufnehmen würden. Unter diesen Bedingungen wurde
Allen Straflosigkeit zugesichert, mit Ausnahme der Anstifter des Aufstandes
und derer, die ihre Hände in Blut getaucht hätten. Jetzt verschwanden alle
Bedenklichkeiten, da man nicht länger in Zweifel seyn konnte, welches Loos
man zu erwarten hatte. Am 25. Januar, nach einer langen Berathung über
die Lage des Landes, in der Graf Jezierski unter lautem Zeichen des Mi߬
fallens über den Erfolg seiner Unterhandlungen in St. Petersburg Bericht
erstattete, trat der Reichstagsmarschall Graf Ostrowski auf und erklärte mit
ernster feierlicher Stimme: „der Zweck der Revolution könne ohne Krieg
nicht mehr erreicht werden; schon habe der Zaar von Moskau seinen Horden
befohlen, in das Land einzubrechen; es sey nicht das erste Mal, daß dasselbe
mit den Gebeinen der Tataren besäet würde; man dürfe jetzt nicht länger
durch Gewohnheit oder Furcht sich bestimmen lassen, Nikolaus als König von
Polen anzuerkennen; nur der Eid sey bindend, den der Pole von den ältesten
Zeiten den Piasten, Jagelloncn und freierwählten Königen geschworen." Le-
v. Rotteck, aNg. Gesch. XL Hermes' Suppt. II. 38