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Der polnische Freiheitskampf. 
gestellt, das russische Kaiserhaus des polnischen Thrones verlustig zu erklären. 
Auf einen so entscheidenden Schritt war Niemand gefaßt; dumpfe Erstarrung 
nahm den Vorschlag ans, der unter dem Vorwände, daß dem Reichstage nach 
der Verfassung nicht das Recht des ersten Antrages zustehe, für den Augen¬ 
blick zurückgewiesen wurde. Bald überzeugten sich aber auch die Gemäßig¬ 
testen, daß man bereits zu weit vorangegangen war, um nicht die einzige 
Wahrscheinlichkeit der Rettung darin zu sehen, daß man jede Möglichkeit der 
Rückkehr abschnitt. Um das Hinderniß zu beseitigen, das dem Antrage Sol- 
tyks entgegenstand, wurde ein Gesetzentwurf angenommen, der den Kammern 
das Recht des ersten Antrages einräumte. Tages darauf kamen zwei Pro¬ 
klamationen des russischen Fcldmarschalls Diebitsch nach Warschau, der an der 
Spitze eines zahlreichen und wohlgcrüstetcn Heeres im Anzüge war. Diese 
Proclamationen, an das polnische Volk und an die polnische Armee gerichtet, 
kündigten den bevorstehenden Einmarsch der russischen Truppen an. Volk 
und Armee wurden an ihre Pflichten gegen den Monarchen erinnert; die Ein¬ 
wohner aufgefordert, die rechtmäßigen Behörden wieder einzusetzen, wie sie 
vor dem Aufstande gewesen wären, alle Waffen abzuliefern und den einrücken¬ 
den Truppen ihre Unterwerfung durch Abordnungen mit weißen Fahnen an¬ 
zuzeigen, die Soldaten, Ofsicierc und Generale, die Fahnen des Aufruhrs zu 
verlassen und sich den russischen Kriegern anzuschließen, die jeden Reuigen 
mit offenen Armen aufnehmen würden. Unter diesen Bedingungen wurde 
Allen Straflosigkeit zugesichert, mit Ausnahme der Anstifter des Aufstandes 
und derer, die ihre Hände in Blut getaucht hätten. Jetzt verschwanden alle 
Bedenklichkeiten, da man nicht länger in Zweifel seyn konnte, welches Loos 
man zu erwarten hatte. Am 25. Januar, nach einer langen Berathung über 
die Lage des Landes, in der Graf Jezierski unter lautem Zeichen des Mi߬ 
fallens über den Erfolg seiner Unterhandlungen in St. Petersburg Bericht 
erstattete, trat der Reichstagsmarschall Graf Ostrowski auf und erklärte mit 
ernster feierlicher Stimme: „der Zweck der Revolution könne ohne Krieg 
nicht mehr erreicht werden; schon habe der Zaar von Moskau seinen Horden 
befohlen, in das Land einzubrechen; es sey nicht das erste Mal, daß dasselbe 
mit den Gebeinen der Tataren besäet würde; man dürfe jetzt nicht länger 
durch Gewohnheit oder Furcht sich bestimmen lassen, Nikolaus als König von 
Polen anzuerkennen; nur der Eid sey bindend, den der Pole von den ältesten 
Zeiten den Piasten, Jagelloncn und freierwählten Königen geschworen." Le- 
v. Rotteck, aNg. Gesch. XL Hermes' Suppt. II. 38
	        
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