§. 1. Die alten Deutschen.
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und auf deren Gipfel ein Adler sitzt, zwischen welchen
ein b a d e r ft i f t e n d e s Eich h ö r »lei n immer auf- und
abläuft. Der Drache nagt an den Wurzeln des Welt¬
baumes. Mittlerweile werden Götter und Menschen und
alle geschaffenen Wesen immer schlechter. Der Drache
nagt grimmig fort, und wenn er die Wurzeln abgenagt
bat, daun kommt, wie wir sagen, der jüngste Tag.
Der Baum sinkt; es erbebt sich ein furchtbarer Kampf
zwischen den Riesen und Göttern; alles braust durchein¬
ander. Der Baum fällt, und von Muspellbeim fällt
Feuer herab; die ganze Welt verbrennt und bleibt nur
noch ein großer Rauch übrig. ,,Das wird seyn Ragna-
ruk (Götrerranch)". Darnach aber schafft Alfadir eine
neue Welt, in der es kein Uebel mehr giebt.—
Das ist in etwas die Religionslehre der alten Germanen.
Wir finden unter ihnen w ei se Frauen, die Wo len
oder Seherinnen, die sie als Vermittler zwischen der
Götter- und Menschenwelt betrachteten, ans deren Aus¬
sprüche sie als auf Götteranssprüche merkten. Besondere
Priester aber scheint es bei ihnen nicht gegeben zu haben.
Jeder Hansvater war Hanspriester, und den Gemeinde¬
gottesdienst leiteten anserwählte Edle als Oberpriester.
Man hieß einen solchen Ewart, Gesetzbewahrer.
Den gemeinsamen Gottesdienst hielten sie in heiligen
Hainen sWäldern). Tempel halten sie in frühester Zeit
nicht und nur wenige Bilder. Sie opferten ihren Göttern,
wie die andern Heiden, und man siebt noch hin und
wieder z. B. in der Nähe von Pappen heim ihre Opfer¬
steine. Sie brachten auch Menschenopfer, gewöhnlich waren
es Gefangene und Verbrecher, die sie den Göttern schlachte¬
ten. Auf der Insel Rügen in der Ostsee wurde jährlich
das Bild der Erdmutter Hertha aus seiner Verborgenheit
auf einem Wagen von Kühen zum See gefahren; Sklaven
mußten es darin waschen, wurden aber gleich nach ver¬
richtetem Werk in den See gestürzt.