13
noch hoffte er den gefährlichen Ankömmling durch List unschädlich zu ma¬
chen. Er ließ Jason rufen und sprach: „Dir, Jason, habe ich schon längst
meinen Thron zugedacht; weil aber kein Unwürdiger ihn besteigen soll, so
wirst du mir nicht verargen, wenn ich von dir zuvor eine Heldenthat ver¬
lange. Ziehe hin nach Kolchis^) und hole heim das goldene Vließ, und
ich will dir bei der Rückkehr mit Freuden mein Zepter überreichen!" Der
nach Thaten durstende Jarson willfahrte dem Antrage des Königs und ging;
aus, sich Genossen für das gefährliche Unternehmen zu verschaffen. Der
treulose König aber hoffte, bei dem weiten Zuge werde Jason das Leben verlieren.
Das goldene Vließ war auf solgeude Weise nach Kolchis gekom¬
men: Phrixus und Helle, die Kinder eines griechischen Königs*) wurden
von ihrer Stiefmutter sehr hart behandelt. Um der stäten Quälereien über¬
hoben zu sein, flohen die beiden Kinder aus einem gold-wolligen Widder
über das Meer. Leider fiel Helle beim Ueberschreiten der Meerenge, welche
Asien und Europa von einander scheidet, in das Meer, welches nach ihr
„H ellesp ont" (Meer der Helle) — jetzt Straße der Dardanellen —
heißt; Phrixus aber kam glücklich nach Kolchis und verehrte gegen gast¬
liche Ausnahme dem König Aeetes das kostbare Widderfell. Weil der Kö¬
nig daraus die Weissagung erhalten, daß er so lange regieren würde, als
das Fell in seinem Besitz sei, so bewahrte er es als sein größtes Kleinod.
Er hing es in einem, dem Ares geweihten Haine an einer großen Ei¬
che aus und ließ es durch einen nie schlafenden Drachen bewachen; auch
zog er aus Vorsicht noch eine hohe Mauer um den Hain. — Diesen
Schatz sollte Jason erobern.
2. Schon hatten sich mehrere Theilnehmer zum Zuge gefunden. Die
berühmtesten waren: Herkules und Theseus, Kastor und Pollux und der
unsterbliche Sänger Orpheus 2). Ein langes Schiff, die „Argo", wurde
gezimmert und auf demselben segelten unter Jasons Anführung die versam¬
melten Helden ab. Viele Abenteuer hatten die Argonauten (Argofahrer)
zu bestehen, ehe sie in Kolchis ans Land steigen konnten. Dort aber be¬
gab sich Jason alsbald zum König und forderte von ihm das goldene
Vließ. Aeetes wurde zornig, verweigerte die Rückgabe des Kleinodes und
drohte, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Als er aber gesehen,, daß die
Begleiter Jasons eben so riesig wie der Anführer waren, verzichtete er auf
Gewaltschritte und suchte durch List die kühnen Fremdlinge zu verderben.
Mit erheuchelter Milde sagte er daher bei einer neuen Unterredung zu Ja¬
son: „Ich will dir das Vließ nicht länger vorenthalten; doch mußt du mir
vorher durch die That beweisen, daß du solch' ein Held bist, wie du zu
sein dich rühmst." Jason erkundigte sich nach den Probearbeiten, und Aee-
tes fuhr fort: „Du sollst mit 2 gluthschnaubenden Stieren 4 Morgen Lan¬
des umpflügen und darein Drachenzähne säen, und dann sollst du die ge¬
harnischten Männer erlegen, die aus diesen Drachenzähnen emporwachsen.
Hast du das vollführt — fügte der Barbar mit spöttischem Lächeln hinzu
Kolchis liegt am Oftufer des schwarzen Meeres. —■ Cs war der König
Athamas von OrchonenuS in Böotien.
') Von Orpheus erzählt die Sage, daß er durch die Macht seines Gesan¬
ges wilde Thiere gezähmt, Flüsse im Laufe aufgehalten und Bäume zum Tanzen ge¬
bracht habe.