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einander, in anderen wenige oder gar keine fanden. Wenn man
die griechischen und phönicischen Kolonien nach ihrer geographischen
Lage mit einander vergleicht, so scheint es beinahe, als hatte ein
stillschweigender Vertrag zwischen beiden Nationen bestanden, sich
gegenseitig einander aus dem Wege zu gehen. Die Griechen besetz¬
ten mit ihren Kolonien die Küsten von Kleinasien und des schwar¬
zen Meeres, das südliche Italien, den größten Theil der siciliani-
schen und die gallischen Küsten, während sich die Phönicier vorzugs¬
weise an der Nordküste von Afrika in der Gegend von Karthago
und in dem südlichen und westlichen Spanien ansiedelten. Die
phönicischen Kolonien, durch ihre Entfernung von dem Mutterlande
begünstigt, machten sich mit der Zeit unabhängig und standen mit
dem Mutterlaude nur durch Handel, wechselseitige Pietät und die
Verehrung der Natioualgötter in Verbindung. Die Gründung der
meisten phönicischen Kolonien fällt in die blühenden Zeiten vonPhö-
nicien, in die Zeit von Salomo bis Cyrus (1000 — 500 v. Chr.).
Die Inseln des Mittelmeeres, Cypern und Kreta, sowie die Spora-
den und Cykladen und Thasos hatten phönicische Kolonisten erhal¬
ten. Die Städte auf Rhodus hatten phönicischen Kultus. Auch an
den West- und Nordküsten von Kleinasien fanden sich Spuren der
Phönicier; nur wurden sie von hier verdrängt, als die Griechen die
Inseln und Küsten von Kleinasien besetzten. Wir finden ferner
phönicische Kolonien auf Sicilien, Sardinien, Korsika und den ba-
learischen Inseln. Ein Hauptland für die Kolonien der Phönicier
war Spanien; der südliche Theil des jetzigen Andalusien, welchen
damals die Turditaner bewohnten, war gleichsam phönicisirt, und
man fand dort, nach Strabo's Bericht, über 200 Oerter, denen
man einen phönicischen Ursprung gab. Diese Landschaft wurde von
den Phöniciern Tartessus genannt. Auf einer kleinen Insel außer¬
halb der Säulen des Hercules gründeten die Phönicier bereits 1100
vor Chr. Gades mit einem berühmten Tempel des lyrischen Hercu¬
les. Die Säulen des Hercules waren im Alterthum gleichsam die
Grenze der bekannten Welt, und die Länder, welche außerhalb der¬
selben lagen, blieben in ein tiefes Dunkel gehüllt. Die Phönicier
suchten dieses durch ihre geheimuißvolle Zurückhaltung noch zu ver¬
mehren: allein es wäre ihrer ganzen Verfahrungsart und Handels¬
politik entgegen gewesen, wenn sie sich nicht an einigen Stellen der
nördlichen spanischen Küste und auf den sorlingischen Inseln ange¬
siedelt hätten. Ein zweites Hauptlaud der phönicischen Niederlas¬
sungen war die Nordküste von Afrika, besonders der mittlere Theil
derselben, das nachmalige Gebiet von Karthago, das jetzige Tunis.
Ihre dortigen Niederlassungen waren ebenso viele Standpunkte, so¬
wohl für den westlichen Handel, als auch für den in das innere
Afrika. Dieser ganze Strich der Küste war mit einer Reihe ihrer
Pflanzstädte bedeckt, von denen wahrscheinlich das um 1100 v. Chr.
gegründete Utika die älteste war. Später wurden Karthago, Adru-
metum, Tysdrus, Groß- und Klein-Leptis angelegt. Ging auch
die Hauptverbreitung des phönicischen Völkerstammes durch Kolonien
nach Westen, so fehlt es doch auch am arabischen und persischen
Meerbusen nicht an Spuren phönicischer Niederlassungen. Im per¬
sischen Meerbusen erinnern die Namen einiger Inseln, Tvrus oder
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