Full text: Geschichte des Alterthums (Theil 1)

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redtsamkeit, aufgetreten zu sein. Nach Plato's Tode begab er sich 
nach Kleinasien und von hier wurde er 343 v. Chr. von Philipp 
von Macedonien zur Erziehung Alexanders berufen. Er lebte acht 
Jahre in Maeedonien und kehrte dann wieder nach Athen zurück, 
wo er 13 Jahre ununterbrochen zubrachte. Er trat hier als Lehrer 
der Philosophie auf und zwar in dem Lyceum. Entweder von dem 
Theile dieses Gymnasiums, wo er lehrte, einer Bahn zum Spazieren¬ 
gehen, oder weil er umherwandelndzu lehren pflegte, erhielt er den 
Namen Peripatetiker. Er soll täglich zwei Zusammenkünfte mit sei¬ 
nen Schülern gehalten haben, die eine am Morgen, die andere am 
Abend, und zwar so, daß er in den Frühsiunden einer ausgewählten 
Anzahl von Zuhörern die strengeren und tiefer eingehenden Theile 
der Philosophie in einer entsprechenden Form mittheilte; in den 
Abendstunden aber einer größeren Masse von Zuhörern den leichteren 
Theil dieser Studien, vornämlich Rhetorik, Dialektik, praktische 
Philosophie in populärer Form und mit praktischer Behandlung. 
Jene ersten Borträge sollen akroatische, die andern exoterische ge¬ 
nannt worden sein. — Nach Alexanders Tode wurde Aristoteles 
der Irreligiosität angeklagt; er begab sich nach Chaléis auf Euböa 
und starb daselbst 322 v. Chr. Er war ein Mann von erstaunlichen 
intellectucllen Fähigkeiten, umfassendem tiefen Geiste, durchdringen¬ 
dem Verstände, von einem praktischen, auf das wirkliche Leben ge¬ 
richteten Blick, von edler sittlicher Gesinnung. Als charakteristische 
Züge werden von ihm angeführt eine große Lebhaftigkeit seines gan¬ 
zen Wesens, eine besondere Gabe überzeugender Beredtsamkeit und 
eine sorgfältige Aufmerksamkeit auf sein Aeußeres, seine Kleidung 
und Pflege des Körpers. 
Um die wissenschaftliche und schriftstellerische Eigenthümlichkeit 
und Bedeutung des Aristoteles zu verstehen, muß man sich sowohl 
an die damaligen Kulturverhältnisse der Griechen, als auch an die 
persönliche Stellung des Aristoteles erinnern. In Griechenland be¬ 
gann jetzt nach der Periode des originalen Schaffens in Literatur 
und Kunst, die sich nun abschloß, eine neue Periode der Reflexion 
und des Verständnisses des bisher Erlebten und Gewonnenen. Noch 
aber wurden die Schöpfungen des früheren hellenischen Geistes in 
frischer und unmittelbarer Anschauung aufgefaßt, und zugleich wur¬ 
den die Griechen durch den welthistorischen Aufschwung der macedo- 
nischen Macht kräftig angeregt. Hinsichtlich der persönlichen Stellung 
des Aristoteles ist es offenbar, daß diese einem so ausgezeichneten 
Geiste vielfältige Gelegenheit, Aufforderung und Erleichterung ge¬ 
währen mußte, die wichtigsten Erscheinungen und Zustände seiner 
Zeit in der Gesellschaft, in der Wissenschaft und Kunst genau kennen 
zu lernen und mit seiner Betrachtung zu umfassen. Aristoteles hat 
nicht wenig dazu beigetragen, daß die mathematischen Wissenschaften 
in der nächst folgenden Zeit aufblühten und mit Erfolg getrieben 
wurden. Auf seinen logischen Untersuchungen beruht das Gebäude 
der Mathematik, welches in dem folgenden Zeitraum aufgestellt wor¬ 
den ist. Er hat zwischen der Mathematik und der Naturphilosophie, 
mit welcher jene bisher innig verbunden war, eine bestimmte Grenz¬ 
linie gezogen; die Mathematik in reine und angewandte geschieden; 
die Arithmetik von der Geometrie getrennt und die angewandte
	        
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