58 Volkskunde 
B. Ländliche Siedelung und Bauernhaus. 
Wie die Sprache und der Brauch des Landvolks, so lassen auch seine 
Siedelungen wertvolle Schlüsse auf die Geschichte einer Landschaft und 
ihrer Bewohner zu. Im allgemeinen lassen sich verschiedene Grundformen 
noch deutlich unterscheiden, wenn sie auch heute unter Mischbildungen und 
Erweiterungen sorgfältig gesucht sein wollen. 
1. Die älteste Form des Dorfes ist das Haufendorf (2)orf = turba, 
Haufe), auch Sippendorf genannt, da es ursprünglich von einer Familie 
besiedelt wurde. Der Name zeigt gern einen Personennamen, dem ein 
--ing(en) oder eine Ortsbezeichnung angehängt wird. Planlos, der Natur 
angepaßt, liegen die Gehöfte, etwa ein Dutzend, zusammen, jedes Haus hat 
seine eigene Richtung, keins berührt das andere. Die Einzelzäune der An¬ 
wesen ergaben im Mittelalter einen Gesamtzaun (Etter, Hagen), der auch 
durch eine Mauer ersetzt ward. Oft bildet den Mittelpunkt der grüne Anger, 
der Verfammlnngs-, Fest- und Gerichtsplatz. Um den Dorfkern lagerte 
sich das Ackerland (die Flur), das die Genossenschaft je nach der Boden¬ 
güte in Abschnitte (Gewanne) teilte, die sie nach gemeinsamem Beschluß 
im Wechsel (später in regelmäßiger Dreifelderwirtschaft) bebaute (Flur¬ 
zwang). Von jedem der Gewanne erhielt jeder Bauer einen gleichen An¬ 
teil (s. S. 74). In gleicher Weise verfuhr man, wenn man später noch 
neues Land unter den Pflug nahm. Jenseits der Flurgrenze lag der ge¬ 
meinsame Besitz an Wald, Weide, Ödland: die Allmende. Diese Flureintei¬ 
lung machte bei dem Mangel an Wegen jeden von der Gesamtheit abhängig 
und förderte daher den Zusammenhalt und das Gemeingefühl. Da sie aöer 
wirtschaftlich ungünstig war, kam es schon früh zum Tausch und zur Zusam¬ 
menlegung einzelner Teile. Seit Friedrich dem Großen und besonders im 19. 
Jahrhundert wurde diese Flurbereinigung staatlich gefördert und ist heute noch 
im Gange. Starke Spuren der Gemeinwirtschaft finden wir aber heute noch 
in der Sitte und in den Flurnamen (vgl. Tafel V, 1). 
2. Ebenso alt sind die Einzelhöfe Westdeutschlands, die Einödhöfe 
(Ainet) Bayerns. Gebirge, Heide, Bruch oder der verkehrshindemde fette 
Marschboden zwangen den Bauern, einzeln zu siedeln inmitten seines Be¬ 
sitzes. Der Hof ist von der Straße nur auf Nebenwegen erreichbar, der ganze 
Besitz durch Hecken oder Gräben gesichert. Wenn auch mehrere Höfe zusam¬ 
mengehören, so ist doch jeder im äußeren und auch für das (Empfinden 
seiner Bewohner eine Welt für sich. Der Hos gibt dem Besitzer bett Namen, 
er wird als Ganzes vererbt; er zwingt zu engstem Zusammenleben und zu
	        
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