Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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Die 
Literatur. 
Dazu kam das Uebergewicht der Bildung, welches die Provinzialen 
ausübten, und daß die Aufzeichnung des bisherigen Gewohnheits¬ 
rechts in lateinischer Sprache geschah. So kam es, daß in den 
Staaten, welche auf den Trümmern der römischen Weltherrschaft 
entstanden, sich die römische Volksmundart, die liu^ua rustiea, un¬ 
ter wesentlichem Einfluß der Sprache der Sieger umbildete und aus 
derselben nach und nach die romanischen Sprachen, die pro- 
venzalische, die spanische, die italienische und die franzö¬ 
sische, hervorgingen. Mit der eigenen Sprache ging diesen Völ¬ 
kern auch die eigene Schrift verloren, und sie brauchten fortan die 
lateinische Schrift, aber auch diese nicht ganz ohne Beimischung 
des Heimathlichen. Die Schriftart, die in Spanien vom Ende des 
sechsten Jahrhunderts an bis zu Ende des elften üblich war, ent¬ 
hielt immer noch altgothische Bestandtheile in sich, sie hieß darum 
auch gothisch. Auch das Alphabet der Angelsachsen war bis auf 
zwei Buchstaben das lateinische. Dagegen bewahrten die Angel¬ 
sachsen ihre Sprache, und zwar auch bei dem Gottesdienst. 
Die germanische Sprache erhielt sich rein nur in Deutschland, 
Skandinavien und in England. Innerhalb Deutschland's bildete 
sich der Gegensatz des Oberdeutschen und des Niederdeutschen 
aus. Jenes ist die vollere und härtere, dieses die breitere und 
weichere Sprache, etwa wie im Griechischen dorische und ionische 
Mundart einander gegenüberstehen. Die Bewohner von Süddeutsch¬ 
land gehörten zum oberdeutschen, die Norddeutschen zum nieder¬ 
deutschen Stamme; die ohngefähre Grenze war die Gegend am 
Harz. In der Mitte lagen als Uebergänge die Mundart der Hes¬ 
sen und die der Thüringer. Die Sprachen der Skandinavier, An¬ 
gelsachsen und Gothen standen dem niederdeutschen Stamme näher, 
die der Langobarden und Burgunder dem oberdeutschen. Die Fran¬ 
ken endlich mischten die Eigenheiten beider. Die oberdeutsche Sprache 
vom sechsten bis zum elften Jahrhundert wird das Althochdeutsche 
genannt. 
Die edelsten, lebensvollsten und dauerndsten Stoffe für die 
Poesie eines Volkes liegen in dem Selbstbewußtsein desselben von 
dem Anfange seines Lebens; und so liegen auch die frischesten, ewig 
jungen, unerfundenen und unerfindbaren Stoffe der germanischen 
Poesie in dem liefen, grünen Waldesdunkel jener ersten Zeiten un¬ 
serer Geschichte. Aus der fernsten, grauesten Zeit ist uns die Sage 
von Liedern geblieben, durch welche unsere Vorfahren die Stamm¬ 
väter ihres Geschlechts, ihre Könige und Helden feierten. Diese 
Lieder sind untergegangen, vermuthlich zugleich mit den Volksstäm¬ 
men, denen sie zunächst angehörten. Jedoch sind uns einige Lieder 
oder Liederstoffe erhalten, welche aus dem frühereu Heidenthnme 
stammen: der Mythus von dem Gotte Siegfried und der von 
Wieland, dem kunstreichen Schmied. Die deutsche Sage wan¬ 
delte beide, namentlich den ersteren, allmälig zu bloßen Heroen um, 
während der skandinavische Norden, mehr an dem Altertbümlichen 
festhaltend, stets eine mehr göttliche Auffassung behauptete. Die 
Thiersage von Reinhart dem Fuchs und Jsengrim dem Wolfe 
weist schon durch ihren Inhalt auf die ältesten Zustände des Vol-
	        
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