Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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Wäldern hatte sich gallische Sprache und Sitte mit geringer Ver¬ 
mischung erhalten. An den waldigen Ufern des Liger (Loire) und 
an dem vom Sturm des Oceans gepeitschten Felsenküsten von Ar- 
morika erhielt sich die Wissenschaft und der Gottesdienst der Drui¬ 
den, die aber, wenn sie aus ihrem Dunkel hervortraten, aus Furcht 
vor den Römern, deren Gebräuche beobachteten. Sie opferten auf 
den Altären der römischen Götter, dachten aber, während sie die 
Namen der römischen Götter aussprachen, an ihre alten gallischen 
Götter. 
Aber nicht bloß Religion und Sprache wurden durch die rö¬ 
mische Eroberung in einem großen Theile Galliens verändert, son¬ 
dern auch die innere politische Organisation des Volkes von Grund 
aus umgewandelt.' Das Klanswesen verschwand, und römischer 
Bürger zu sein galt bald für das Höchste. Diejenigen unter den 
Vornehmen, die sich dem römischen Wesen mit besonderer Vorliebe 
zuneigten, wurden mit der römischen Ritterwürde beschenkt, manche 
stiegen zu den höchsten Würden empor. Der furchtbare neunjährige 
Krieg gegen Cäsar, in welchem über eine Million Menschen umge¬ 
kommen sein soll, hatte die bisherigen Bande der Gesellschaft zer¬ 
rissen. Die Klansaristokratie hatte am meisten gelitten. An die 
Stelle des einheimischen Adels, der Ritter, wie sie Cäsar nennt, 
traten die Reichen und die Beamten. Eine reiche Oligarchie brachte 
in Gallien wie in Italien den größten Theil des Grundeigenthums 
an sich, und viele Freie sanken, da ein eigentlicher Stand der Ge- 
werbtreibenden nicht vorhanden war, zu Bettlern herab. Die Leib¬ 
eigenen der alten Ritter wurden größten Theils wirkliche Sklaven. 
Die zunehmende Verminderung der kleinen Eigenthümer, der Man¬ 
gel eines ehrenhaften Gewerbestandes und die große Menge von 
Freien, die von öffentlichen Spenden lebten, trugen wesentlich zum 
immer tieferen Verfalle der alten Welt bei. 
Die heutige Weltstadt Paris erregt ein so großes Interesse, 
daß es nicht unangemessen erscheint einige Worte über deren Ur¬ 
sprung zu sagen. Auf einer Insel der Sequana (Seine) hatten 
schon vor Cäsars Zeit die Parifti, welche mit dem mächtigen 
Stamme der Senonen verbunden waren, eine Stadt, Lutetia, er¬ 
baut. Auf dieser Insel, der heutigen Ile àe la Cité, hielt Cäsar 
eine Versammlung der nordgallischen Völkerschaften. Lutetia wurde 
von den Parifiern im Kampfe gegen Cäsars Legaten Labienus ver¬ 
brannt, aber von den Römern wieder aufgebaut. Bis zum Ende 
des dritten Jahrhunderts n. Chr. wird Lutetia in der Geschichte 
nicht weiter erwähnt, und nur Inschriften beweisen ihr Fortbeste¬ 
hen und daß selbst in diesem nördlichen Theile von Gallien der Ge¬ 
brauch der lateinischen Sprache und die Verschmelzung des keltischen 
und römischen Kultus frühzeitig angefangen hat. Constantius Chlo- 
rus, welcher bis 306 n. Chr. über Gallien und Britannien herrschte, 
nahm häufig seinen Sitz in Lutetia. Man schreibt ihm die Er¬ 
bauung des sogenannten Palastes der Thermen zu, dessen Ueber- 
reste das einzige Bauwerk sind, das Paris aus der römischen Zeit 
besitzt. Von diesem Gebäude ist nur ein einziger großer Saal 
übrig. Eine eigene Wasserleitung, die von dem heutigen Dorfe 
Lutetia
	        
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