Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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Heldengedichten zu besingen. Diese chronikenartig geschriebenen Ge- 
dichte gehören aber mehr der Geschichte als der Poesie an. Bei dem 
religiösen Geist der Spanier folgten bald auch lange religiöse ge¬ 
reimte Erzählungen. Das Beispiel von Ariosto ries auch bei den 
Spaniern Versuche im phantastischen Epos hervor, und die vielen 
und langen erzählenden Gedichte gaben dann auch Veranlassung zu 
scherzhaften Heldengedichten. 
In der spanischen Literatur zeigt sich seit ihrem Ursprünge eine 
entschiedene Neigung zum Lyrischen. Wir unterscheiden in dieser Zeit 
und bis auf unsere Tage zwei Richtungen, indem die einen Dich¬ 
ter sich die italienischen Dichter zum Vorbilde nehmen, andere da¬ 
gegen den altspanischen oder kastilischen Geist in ihren Gedichten be¬ 
wahren. Von den beiden bedeutenden Lyrikern dieser Zeit hat Luis 
de Leon seine tiefreligiösen Gefühle in altspanischen Versmaßen 
ausgesprochen, während Fernando de Herrera sich zur Nach¬ 
ahmung der lateinischen und italienischen Dichter hinneigt. Es entstand 
unter den spanischen Schriftstellern eine Partei, welche die Gebildeten 
hießen und welche nach einer besonders zierlichen und gebildeten Schreib¬ 
art strebten und sich in die lächerlichsten Ausschweifungen, Geschraubt¬ 
heiten und Gelehrtthuereien verirrten. Nach dem Dichter Gongora 
nannte man diese gezierte, geschraubte und schwülstige Schreibart Gon¬ 
gor ei. Eine ähnliche Richtung zeigen in Frankreich die Plejade, in 
England die Euphuisten, in Italien die Marinisten, in Deutschland 
Hoffmanswaldau und Lohenstein. Eine Richtung der Poesie, die wir in 
der damaligen Zeit ebenfalls bei anderen Völkern finden, zeigt uns das 
spanische Sch äse r gedieh t. Die spanischen Schäfergedichte haben in der 
idealen Darstellung der Natur und des Landlebens eine größere Wahr¬ 
heit, als die anderer Völker. 
Am meisten angebaut ist bei den Spaniern die Romanze. Die 
alten Romanzen enthielten so viel Schönes, so viel die schönsten Erinne¬ 
rungen aller Stände Ansprechendes, so vieles, was mit den glänzendsten 
Zeiten Spaniens zusammenhing, daß die Gemüther aller durch sie er¬ 
regt wurden. Als die volksthümlichen Romanzen in den Romanzen¬ 
büchern des sechzehnten.Jahrhunderts gesammelt worden waren, erwarben 
sie sich bei den gebildeteren Ständen dieselbe Gunst, welche sie bei dem 
Volke längst besessen hatten. Zwischen 1550 und 1700 dichteten alle 
ausgezeichneten Dichter Romanzen. Wir finden bei den Spaniern Ro¬ 
manzen in allen möglichen Verschiedenheiten der Art und Haltung. Die 
Romanze war der höchste Genuß des ganzen spanischen Volkes geworden. 
Der Krieger erfreute sich an ihnen in seinem Zelte, und der Maulthier¬ 
treiber, wenn er durch die Gebirge zog, das Mädchen tanzte nach ihnen 
auf der Wiese, und der Liebhaber sang sie bei seinen Ständchen, sie 
drangen in die Gelage der Diebe und Landstreicher, in die üppigen Be¬ 
lustigungen des prachtliebenden Adels, wie in die Festlichkeiten der Kirche, 
der blinde Bettler sang sie ab, um Almosen zu erlangen, und der Pup¬ 
penspieler sagte sie her, um seine Schaustellungen zu erklären. Sie bil¬ 
deten einen Theil der weltlichen und geistlichen Schauspiele, und das 
trug zu ihrer Verbreitung bei. Keine Dichtungsart neuerer Zeit hat sich 
so über alle Stände verbreitet und keine ist so tief in den Volkscharakter 
eingedrungen.
	        
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