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hatten. Früher hatte er alles auf eigenes Risiko übernehmen und die
Ware nicht selten auf die fremden Märkte begleiten müssen.
Groß ist der Wechsel des Schauplatzes, auf welchem der
Handel sich bewegte. Von den Phöniciern bis zu den Venetianern war
das Mittelmeer nebst den Landwegen nach dem persischen und arabischen
Meerbusen der enge Raum, auf welchem sich der internationale Verkehr
bewegte. Das Mittel mee r sank jetzt zu einem Binnensee herab, deffen
Verkehr nicht über seine natürlichen Grenzen reichte und dabei den
Räubereien ausgesetzt war; seine Häfen verödeten und die glänzendsten
Erscheinungen seines früheren Handels, wie Venedig und Genua, hatten
bald nicht viel mehr als monumentale Bedeutung. Wurde auch Italien
nicht unterjocht, wie Griechenland, doch welkte seine Blüthe und Macht
dahin, als ihm die besten Quellen seines Lebens versiegten. In schöpfe¬
rischer Lebensfülle entfalteten sich dagegen die Küstenländer des
westlichen Europa. Der Westen Europa's wurde der Mittelpunkt,
wo alle Strömungen des neuen Lebens ein- und ausliefen, und die
offne Lage an dem Weltmeer, das die Länder jetzt ebenso verband als
vordem trennte, gab ihm schnell einen Vorzug über den Osten.
Ein so gewaltiger Umschwung ist nicht bloß aus geographischen
Ursachen, sondern auch aus politischen und gesellschaftlichen Einflüffen zu
erklären. Im Mittelalter fehlte dem Volke das Bewußtsein ein Ganzes
darzustellen; Fürst, Adel, Geistlichkeit und Bürgerstand sehen sich als
koordinirte Gewalten an; das Recht des Einzelnen und des Standes
galt mehr als das Recht der Gesammtheit. Die vielen Kriege der
Fürsten waren mehr aus Begründung einer Hausmacht, als einer Na¬
tionalmacht berechnet. Die Unterthänigkeit unter das monarchische Ober¬
haupt ging nicht viel weiter, als auf Leistung von Kriegsdiensten und
Abgaben. Alle übrigen Verrichtungen und Bestrebungen des öffent¬
lichen Lebens blieben der Selbstbestimmung der Einzelnen überlasten.
Daher ließ man auch den Handel, abgesehen von willkürlichen Berau¬
bungen durch Sperren und Zölle, seine Wege gehen und seine Mittel
zum Fortkommen wählen. Die Staatsgewalt war weit entfernt ihn
auf die vorgeschriebene Bahn eines Regierungssystems zu zwingen. In
den großen Monarchien Europa's kam der Gedanke, den Handel zum
eigenen Staatszweck zu machen, das ganze Mittelalter hindurch nur in
einzelnen schwachen Versuchen zum Vorschein. Man ließ einzelne Städte
und Bündnisse frei gewähren, opferte denselben sogar gegen Abgaben
und Zölle nicht selten den innern Markt und die inländische Production;
diese nationalökonomische Hebel für Macht, Reichthum und Einkommen
selbst auszubilden fehlte es den Fürsten an Einsicht, gutem Willen und
Kraft. Die ganze Kunst der Staatswirthschaft ging nur dahin, für die
Hofhaltung und Kriegführung möglichst viel Geld aufzubringen; man
dachte nicht daran, daß man dazu auch die Steuerkrast des Volkes durch
ein erhöhtes Einkommen befähigen müsse. Das Feudalwesen des Mittel-
alters war das unübersteiglichste Hinderniß für die Begründung einer
wahren Staats - und Volkswirthschaft, es widerstrebte nicht nur einer
Gleichstellung der Rechte, sondern auch einer Gleichstellung der Inter¬
essen, welche doch allein die verschiedenen Klassen und Stände einer
Staats-Gesellschaft nach außen als National-Einheit darzustellen vermag.
Außer Stand den Aufschwung der Städte zu verhindern, bekämpfte man