Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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hatten. Früher hatte er alles auf eigenes Risiko übernehmen und die 
Ware nicht selten auf die fremden Märkte begleiten müssen. 
Groß ist der Wechsel des Schauplatzes, auf welchem der 
Handel sich bewegte. Von den Phöniciern bis zu den Venetianern war 
das Mittelmeer nebst den Landwegen nach dem persischen und arabischen 
Meerbusen der enge Raum, auf welchem sich der internationale Verkehr 
bewegte. Das Mittel mee r sank jetzt zu einem Binnensee herab, deffen 
Verkehr nicht über seine natürlichen Grenzen reichte und dabei den 
Räubereien ausgesetzt war; seine Häfen verödeten und die glänzendsten 
Erscheinungen seines früheren Handels, wie Venedig und Genua, hatten 
bald nicht viel mehr als monumentale Bedeutung. Wurde auch Italien 
nicht unterjocht, wie Griechenland, doch welkte seine Blüthe und Macht 
dahin, als ihm die besten Quellen seines Lebens versiegten. In schöpfe¬ 
rischer Lebensfülle entfalteten sich dagegen die Küstenländer des 
westlichen Europa. Der Westen Europa's wurde der Mittelpunkt, 
wo alle Strömungen des neuen Lebens ein- und ausliefen, und die 
offne Lage an dem Weltmeer, das die Länder jetzt ebenso verband als 
vordem trennte, gab ihm schnell einen Vorzug über den Osten. 
Ein so gewaltiger Umschwung ist nicht bloß aus geographischen 
Ursachen, sondern auch aus politischen und gesellschaftlichen Einflüffen zu 
erklären. Im Mittelalter fehlte dem Volke das Bewußtsein ein Ganzes 
darzustellen; Fürst, Adel, Geistlichkeit und Bürgerstand sehen sich als 
koordinirte Gewalten an; das Recht des Einzelnen und des Standes 
galt mehr als das Recht der Gesammtheit. Die vielen Kriege der 
Fürsten waren mehr aus Begründung einer Hausmacht, als einer Na¬ 
tionalmacht berechnet. Die Unterthänigkeit unter das monarchische Ober¬ 
haupt ging nicht viel weiter, als auf Leistung von Kriegsdiensten und 
Abgaben. Alle übrigen Verrichtungen und Bestrebungen des öffent¬ 
lichen Lebens blieben der Selbstbestimmung der Einzelnen überlasten. 
Daher ließ man auch den Handel, abgesehen von willkürlichen Berau¬ 
bungen durch Sperren und Zölle, seine Wege gehen und seine Mittel 
zum Fortkommen wählen. Die Staatsgewalt war weit entfernt ihn 
auf die vorgeschriebene Bahn eines Regierungssystems zu zwingen. In 
den großen Monarchien Europa's kam der Gedanke, den Handel zum 
eigenen Staatszweck zu machen, das ganze Mittelalter hindurch nur in 
einzelnen schwachen Versuchen zum Vorschein. Man ließ einzelne Städte 
und Bündnisse frei gewähren, opferte denselben sogar gegen Abgaben 
und Zölle nicht selten den innern Markt und die inländische Production; 
diese nationalökonomische Hebel für Macht, Reichthum und Einkommen 
selbst auszubilden fehlte es den Fürsten an Einsicht, gutem Willen und 
Kraft. Die ganze Kunst der Staatswirthschaft ging nur dahin, für die 
Hofhaltung und Kriegführung möglichst viel Geld aufzubringen; man 
dachte nicht daran, daß man dazu auch die Steuerkrast des Volkes durch 
ein erhöhtes Einkommen befähigen müsse. Das Feudalwesen des Mittel- 
alters war das unübersteiglichste Hinderniß für die Begründung einer 
wahren Staats - und Volkswirthschaft, es widerstrebte nicht nur einer 
Gleichstellung der Rechte, sondern auch einer Gleichstellung der Inter¬ 
essen, welche doch allein die verschiedenen Klassen und Stände einer 
Staats-Gesellschaft nach außen als National-Einheit darzustellen vermag. 
Außer Stand den Aufschwung der Städte zu verhindern, bekämpfte man
	        
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