Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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Die Unbehaglichkeit, welche mit dem Zwischenzustande zwischen 
Auflösung und Wiederherstellung der Ordnung verbunden war, die im Juli nso. 
ganzen Reich herrschende Verwirrung hatten der Nationalversammlung 
gegen die Mitte des Jahres 1790 manchen bitteren Tadel zugezogen, 
und die Nation schien kälter zu werden. Man beschloß daher durch 
eine große National-Feierlichkeit die Begeisterung wieder anzufachen. 
Dies war der Sinn des unter dem Namen Föderationsfest berühmt 
gewordenen Schauspiels, welches am 14. Juli 1790, am Jahrestage 
des Falles der Bastille, in allen Städten Frankreichs, mit dem größten 
Aufwande aber zu Paris auf dem Marsfelde gefeiert wurde. Es sollte 
durch das Fest die Verbrüderung zwischen Volk, Armee und National» 
garde auf feierliche Weise kund gethan und durch einen Eid besiegelt 
werden. Man berief deshalb Deputirte aller Regimenter des Heeres, 
sowie je einen Mann von zweihundert Bürgergardisten und sechs Depu- 
tirte eines jeden Kantons nach Paris. Die ganze Bevölkerung von 
Paris ohne Unterschied des Standes legte mit Hand an bei den Erd- 
arbeiten, welche für daß Fest auf dem Marsfelde gemacht wurden. In 
der Mitte dieses Feldes wurde ein Hügel aufgeworfen und auf demselben 
der fünfundzwanzig Fuß hohe Altar des Vaterlandes errichtet. Um den 
Hügel herum machte man amphitheatralische Sitze. Der Festtag brach 
mit starken Regengüssen an; aber die endlosen Züge schritten in der be¬ 
stimmten Ordnung einher. Die Festlichkeit begann mit einer musikali. 
schen Aufführung, an welcher zwölfhundert Künstler Theil nahmen. 
Dann hielt Talleyrand, Bischof von Autun, an der Spitze von 300 
mit dreifarbigen Schärpen geschmückten Priestern und unter dem Schalle 
von dreihundert Trommeln ein feierliches Hochamt und weihte die Fah. 
neu der dreiundachtzig Departements ein. Hieraus schritt La Fayette, 
die Fahne von Paris in der Hand, zum Altare des Vaterlandes und 
schwor, im Namen aller Nationalgarden und Soldaten des Reichs, der 
Nation, dem Gesetz und dem Könige Treue; die Abgeordneten sprachen 
ihm die Eidesworte nach. Dann leistete der Präsident der National- 
Versammlung, von seinem Stuhle zur Rechten des Königs ausstehend, 
denselben Eid, und endlich erhob sich auch der König und schwor mit 
ausgestrecktem Arme, alle Macht, die ihm durch die Verfassung übertra¬ 
gen worden sei, zur Erhaltung dieser Verfassung verwenden zu wollen. 
In diesem Augenblicke hob die Königin den Dauphin in die Höhe, run 
ihn dem Volke zu zeigen und an dem Eide Theil nehmen zu lassen. 
Eine halbe Million Menschen sprach, die Arme ausstreckend, dem Könige 
die Worte nach: Ich schwöre es. Der Donner deß Geschützes vermochte 
den erschütternden Ruf nicht zu übertönen: Es lebe der König und die 
Königin! Der König umarmte seine Gemahlin und seine Kinder; alle 
Anderen ohne Beachtung des Ranges und Standes oder gegenseitiger 
Bekanntschaft stürzten einander als Brüder und Schwestern in die Arme 
und versprachen sich Liebe und Treue und gelobten, ihr Leben für die 
Freiheit und das Vaterland hinzugeben. Kein Auge blieb thränenleer. 
Ludwig XVI. verstand es nicht; die Stimmung deß Volkes zu er- Schwachheit 
halten und zu benutzen. Zu derselben Zeit, wo er die Verfassung be- 
lchwor, wurde ihm von bethörten Freunden der Plan zu einer Ge- 
gen revolution vorgelegt, und wenn auch der König diesen Plan Ncckers^
	        
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