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mit Freveln belasteten Gegnern leichter beikommen zu können. In der
That machten sie zuerst von dem Decrete Gebrauch, um an ihren Geg-
nern durch den gänzlichen Sturz des Herzogs von Orleans Rache
zu üben. Schon früher war dieser des Einverständnisses mit Dumouriez
beschuldigt worden; jetzt wurde er irn Convent förmlich angeklagt. Er
wohnte, in tiefes Nachdenken versunken, der Sitzung bei und berief sich
nur auf die Achtung, die ihm, als einem Stellvertreter des Volkes, ge-
bühre. Als ihn am folgenden Tage die Wache aus seinem Palaste ins
Gefängniß abholte, verkaufte er eben einen Theil seiner Wäsche, um
sich einiges Geld zu verschaffen. Ec wurde mit seinen beiden, in Frank¬
reich zurückgebliebenen Söhnen nach Marseille gebracht. Ferner bewirkte
die Gironde die Verhaftung und Anklage Marat's. Die gerichtliche
Verfolgung dieses schamlosen Frevlers diente jedoch nur dazu, diesem
eine größere Bedeutung zu geben, als er jemals gehabt hatte. Macat
wurde von dem Revolutionstribunale freigesprochen und auf den Schul-
tern des freudetrunkenen Pöbels, unter Triumphgeschrei und mit einer
Bürgerkrone geschmückt, in den Convent zurückgetragen.
Da die Hauptmacht des Berges in dem Pöbel und in dem Ge-
meinderath von Paris lag, so wurden beide in Verbindung gebracht und
in jeder der 48 Sektionen ein aus 12 Personen bestehender revolutio-
närer Ausschuß organisirt, durch welchen jeden Augenblick die fana¬
tische Volksmasse gegen den Convent aufgeboten werden konnte. Zu-
gleich wurde die Veranstaltung getroffen, daß der Gemeinderath sich bei
jedem Tumulte durch Mitglieder dieser Ausschüsse verstärkte. Der Con¬
vent gewährte oft das unwürdige Schauspiel eines wüthenden Haufens,
dessen Parteien sich nicht bloß die gemeinsten Schimpfwörter zuriefen, son-
dern, unter dem Geschrei und sogar der thätigen Theilnahme der Galle-
rien, erst mit Faustschlägen, dann auch mit Degen und Pistolen über
einander herfielen. Es half nichts, daß man in dem Saale der Tuile-
rien, in welchen die Sitzungen verlegt waren, die Bänke alle an einer
Seite aufstellte und die Gallerien höher anlegte. Auch dieser neue
Sitzungssaal glich einem Schauplatze, auf welchem zwei Parteien von
Fechtern täglich auf das wüthendste kämpften.
Das unbedingte Recht der Denk-, Rede- und Druckfreiheit ward
feierlich ausgesprochen und durch ein Gesetz sicher gestellt; aber an dem-
selben Tage, an dem dies geschah, wurde eine Person, die in der Trun-
kenheit Aeußerungen zu Gunsten des Königthums gethan hatte, vom
Revolutionstribunal verurtheilt und enthauptet. Freier Handel und
freier Gebrauch des Eigenthums war das Losungswort der Revolution
gewesen, und jetzt wurde ein höchster Getraidepreis festgesetzt und alles
Getraide unter öffentliche Aufsicht gestellt, so daß niemand ohne einen
amtlichen Erlaubnißschein auch nur Mehl zum Hausbedarf kaufen durfte.
Die verheißene Ermäßigung des Abgabendrucks ward durch eine ge¬
zwungene, auf die Reichen ausgeschriebene Anleihe bethätigt.
Die Straßen-Tumulte wurden immer häufiger und schrecklicher.
Abgeordnete einer pariser Sektion hatten die Frechheit, mit einer Liste
von 2 5 Girondisten vor den Convent zu treten und zu fordern, daß
dieselben als Verräther und Verschworne geächtet werden sollten. Die
Gironde, welche noch immer die Stimmenmehrheit hatte, ließ diese
Frechheit ungestraft. Endlich, als den Girondisten ein Plan des Bür-