Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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schon nahe vor Worms war, schickte ihm noch sein Freund Spalatin, 
Hofprediger deß Kurfürsten von Sachsen, einen treuen Menschen entge^ 
gen ihn zu warnen, doch ja nicht in die Stadt zu kommen. Luther 
aber gab die Antwort: ich werde kommen, und wären so viel Teufet in 
der Stadt, als Ziegeln auf den Dächern. 
- Am 16. April zog Luther ganz stattlich in Worms ein. Viele vom 
Adel waren ihm entgegengefahren, und als er Morgens 10 Uhr in die 
Stadt fuhr, war der Auflauf des Volks ungeheuer. Vor dem Wa- 
gen ritt der kaiserliche Herold, hinter dem Wagen folgte Justus Jonas, 
nachmaliger Propst zu Wittenberg, mit seinem Famulus. Am folgen¬ 
den Tage Nachmittags 4 Uhr wurde Luther in die Reichsversammlung 
eingeführt; der Reichserbmarschall und der Herold gingen ihm voran. 
Man mußte ihn durch Gärten und Hinterhäuser führen und konnte doch 
kaum durch das Gedränge hindurch kommen. Man deckte die Dächer 
ab, um den Glaubenßhelden zu sehen. An der Thür des Saales klopfte 
der berühmte Feldhauptmann Georg Frundsberg Luthern auf die 
Schulter und sagte theilnehmend zu ihm: „Mönchlein, Mönchlein, du 
gehst jetzt einen Gang, dergleichen ich und mancher Oberster auch in 
unsrer allerernstesten Schlacht nicht gethan haben. Bist du aber auf 
rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen 
fort und sei nur getrost, Gott wird dich nicht verlassen." Luther war 
bleich und abgemattet von der Krankheit und machte deshalb auf die 
Versammlung keinen vortheilhaften Eindruck. „Der würde mich nicht 
bewegen, daß ich ein Ketzer würde", soll Karl zu seinem Nachbar gesagt 
haben. Man hatte Luthers Schriften auf den Tisch gelegt. Der trien 
sche Ofsicial Eck fragte ihn nun, ob ec die daliegenden Bücher für die 
seinigen erkenne und ob er den Inhalt derselben widerrufen wolle. Da 
sagte der Doktor Schürf von Wittenberg, der Luthern gleichsam als 
Anwalt beigegeben war: man zeige die Bücher mit Namen an. Dieses 
geschah, und nun bejahte Luther die erste Frage, bat sich aber zur Be¬ 
antwortung der zweiten Bedenkzeit aus. Sie wurde ihm gewährt bis 
zum folgenden Tage. Am folgenden Tage wurde er wieder um 4 Uhr 
in die Reichsversammlung geführt; er mußte aber biß 6 Uhr unter großem 
Gedränge stehen und warten. Es brannten schon alle Fackeln im Saal, 
als er endlich vorgelassen wurde. Er sprach mit großer Ruhe und Gei¬ 
stesgegenwart, mit eben so großer Bescheidenheit als Bestimmtheit, in 
einer langen Rede, und zwar zuerst in deutscher, dann wegen des Kai¬ 
sers in lateinischer Sprache, daß er daß, was er in seinen Büchern 
vom christlichen Glauben und von deß Papstes Tyrannei geschrieben habe, 
nicht widerrufen könne; nur in Betreff der gegen Privatpersonen gerich¬ 
teten Streitschriften müffe er frei bekennen, daß er oft heftiger gewesen 
sei, als es sich für einen Lehrer der Religion gezieme. Doch auch diese 
Schriften könne er nicht widerrufen, dainit er nicht -Ursach gebe, forthin 
allerlei gottlos Wesen zu vertheidigen und Gräuel und Wüthen anzu¬ 
richten. „Darum bitte ich, sagte er, durch die Barmherzigkeit Gottes, 
Ew. Kaiserl. Majestät, Kur- und Fürstliche Gnaden oder wer es thun 
kann, er sei hohen oder niedern Standes, er wolle Zeugniß geben, auch 
mit prophetischen und apostolischen Schriften überweisen, daß ich geirret 
habe; so ich des überzeuget werde, will ich ganz willig und bereit sein, 
allen Irrthum zu widerrufen und der erste sein, der meine Büchlein ins
	        
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