darstellung, Beherrschung der Rede ein, sondern auch persönliche Urteils¬ 
fähigkeit, Geschmack und Takt. Bei der Gesittung dagegen in ihrem 
einfacheren Sinne handelt es sich zunächst nur um Angleichung an die 
innerhalb einer weiten Lebensgemeinschaft herrschende Form, und dann 
um Dämpfung des natürlich und namentlich des roh Leidenschaftlichen, 
oder viel mehr noch um Hemmung der Äußerung desselben. In Wirklich¬ 
keit pflegt sich damit auch ein Drang nach immer weiterer Ausgestaltung 
der Lebensformen und nach Erhöhung der allgemeinen Lebenshaltung 
zu verbinden, ein Drang nach Verfeinerung des Lebens, der also die 
mittlere Bevölkerungsschicht immer treibt, sich der oberen anzugleichen. 
Das alles war nicht oder ist nicht einmal so, in einem bestimmten Lande 
etwa, sondern wiederholt sich immer in ähnlicher Weise. Gleichwohl 
darf man sagen, daß sich dieses Dreifache jetzt innerhalb des englischen 
Volkes der Gegenwart mit besonderer Deutlichkeit fühlbar macht. 
England ist das klassische Land der festen Sitte und der Unterwerfung 
der Vielen unter die gleichmäßige Sitte. Nicht bloß in einem Umfange, 
wie sich die Macht der Sitte auch in andern Ländern und andern Lebens¬ 
kreisen geltend gemacht hat oder noch geltend macht, sondern mit einer 
sonst nirgendwo anzutreffenden Ausdehnung derselben auf alle Be¬ 
ziehungen und Momente des Lebens. Dabei handelt es sich teilweise 
um Sitte, die sich vor langen Zeiten gebildet hat und lange Zeiten 
hindurch mit Zähigkeit festgehalten wird, teils auch um solche, die sich 
zeitweilig neu bildet und vielleicht dem Begriff der Mode nahekommt, 
obwohl der nervös hastige Wechsel derselben im englischen Blute nicht 
liegt. Jedenfalls ist z. B. die Kleidung für jede einzelne Zeit, jeden 
Fall, jede Situation, ist auch die Körperhaltung, sind die sprachlichen 
Wendungen, ist die äußere Lebenseinrichtung für die einzelnen sozialen 
Schichten (the Standard of life) bestimmt gegeben, ja auch die Gebiete, 
denen das Interesse zuzuwenden ist, und die Art seiner Äußerung, be¬ 
kanntlich einschließlich des religiösen Gebietes. Irgend welche willkürliche 
Abweichung von dem, was in allen diesen Hinsichten die stillschweigend 
vereinbarte Norm ist, stellt den sich nicht Unterwerfenden außerhalb der 
Gesellschaft, und er kann die so verlorene Position schwerlich zurück¬ 
erobern. Noch einmal: all dergleichen ist ja auch anderswo wohl be¬ 
kannt, hat aber in dem Inselreiche doch eine ganz andere Macht und 
Bedeutung als draußen. 
Soll man diese Tatsache ausdrücklich aus der insularen Lage er¬ 
klären, die also die Bewohnerschaft zu einer viel geschlosseneren Einheit 
zusammenwachsen ließ als anderswo und damit der Bildung Mer Sitten