VII. Deutschland.
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entschieden diesmal das Schicksal von Europa in der Schlacht von Belle
Alliance, 18. Juni 1815, und ihr siegreicher Einzug in Paris brachte die
Bourbons zum zweiten Mal auf den Thron, Napoleon aber nach St.
Helena. Der zweite Pariser Friede, 20. November 1815, ließ Frankreich die
renzen von 1790, ohne jedoch uns das einst treulos entrissene herrliche
Elsaß und das halbdeutsche Lothringen für diesmal wiederzugeben. Zur
weiteren Befestigung der deutschen Angelegenheiten und zur Ausführung der
Wiener Congreß-Acte ward zu Frankfurt a. M. eine Versammlung von
Abgeordneten sämmtlicher deutschen Staaten, der Bundestag, verordnet.
Der deutsche Bund, repräsentirt durch den deutschen Bundestag in Frank¬
furt a. M., war aber nicht das, was er sein sollte, was die deutsche Nation
nach einem so aufopfernden und hingebenden Kampfe zu fordern berechtigt
war, und so kam es, daß getäuschte Erwartungen seit 1815 die Veranlassung
zu geheimen politischen Verbindungen, besonders unter den Studirenden,
gaben, welche, obgleich durch strenge Maßregeln und mit Anwendung von
unsauberen Mitteln 1819, 1832 und 1833 zwar unterdrückt wurden,
aber doch den Geist der freien Entwicklung nicht zu vernichten im Stande
waren. Die kleineren deutschen Staaten erhielten in der Zeit sogenannte
Constitutionen, die aber unter dem Druck der Bundesregierung nicht der
freien Entwicklung fähig waren. Zu einem großen, gemeinsamen Staats¬
leben konnte es bei der steten Eifersucht zwischen den beiden Großstaaten
Oesterreich und Preußen und bei der Vieltheilung in einige 30 kleine
Staaten nicht kommen. Deutschland sah, ohne äußere Kriege und Politik,
seine geistige Lebensthätigkeit auf das Gebiet der Kirche und Literatur be¬
schränkt, wo mächtige Kämpfe durchgefochten wurden; auch hier trat, wie in
anderen Staaten, der Katholicismus und das Papstthum mit alten Ansprüchen
wieder hervor und der alte Sectenhaß ward dadurch von Neuem geweckt.
Ja es fehlt in der neuesten Zeit sogar nicht an Zwietracht und Verketzerung
unter den Religionsgesellschasten in dem Lager der Evangelischen, besonders
hervorgerufen durch die auf das Jahrhundert der Reformation zurückgehende
alllutherische Partei und ihren starr-coiifessionellen Eifer, von dem aufge¬
stachelt, sie alle unirenden Bestrebungen als Zeichen des Abfalls und des
Jndifferentismus verwerfen. Trotzdem hat die Union bei der Mehrzahl
der Evangelischen Wurzel geschlagen und der Gustav - Adolph - Verein trägt
zur Ausbreitung milderer Ansichten über die symbolischen Bücher und die
Dogmen der Kirche bei, während seit 1844 eine anfangs rasch fortschreitende,
nachher aber in der Entwicklung gehemmte, sich von der päpstlichen Hier¬
archie lossagende Partei (die sogenannte deutsch-katholische), mit welcher sich
theilweise die protestantischen Lichtfreunde zu „freien Gemeinden" vereinigten,
eine bemerkeuswerthe Erscheinung darbietet. Während so religiöse Spal¬
tungen und Wirren das Bestreben, das nationale Gefühl eines einigen
Deutschlands stark zu erschüttern geeignet sind, ist diese Einheit durch die
Berücksichtigung materieller Interessen ins Leben getreten, indem die meisten
deutschen Staaten seit 1828, mit Preußen an der Spitze, sich zu einem
Zollverein verbunden haben, welcher für Handel und Industrie die wohl¬
thätigsten Folgen gehabt hat. Nebenher hat sich eine Neigung zur Her¬
stellung mittelalterlicher Zustände kund gegeben, welche von den durch die
französische Revolution hervorgerufenen Ideen nicht unangefochten blieb.
Blaac'S Handbuch U. öte Aufl. H