VIII. Oesterreich.
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Ertrag abringen, und alljährlich sehen sich viele Tausende genöthigt, die
theure Heimath zu meiden, welche sie oft gleich den westlichen Nachbarn erst
in späten Jahren wiedersehen, nachdem sie als Hausirer u. s. w. in ganz
Europa ihr Gluck gesucht. Die Treuherzigkeit des Völkchens ist beinahe
sprichwörtlich, und besonders in den abgelegenen Thälern noch in der alten
Reinheit bewahrt; berühmt ihre Anhänglichkeit an Vaterland und Herrscher¬
haus; daher wenige Länder so reich an erhebenden Erinnerungsplätzen (na¬
mentlich in der Nähe seiner zahlreichen Engpässe) als Tirol. In jenen
Thälern muß man auch die besonders beim Meraner und Zillerthaler sehr
malerische Tracht der Bewohner suchen, welche in den Städten, wie überall,
theilweise der französischen Mode weichen mußte. Wie der Charakter, so
hat auch die Tracht des Aelplersi etwas Originelles. Obenan steht der mit
Federn und Gemsbart geschmückte, beiden Geschlechtern gemeine Hut. Ein
lederner graubrauner Rock, häufig vom Träger selbst bereitet, eben solche
oder lederne, die Knie bis zu den Strümpfen nackt lassende Hosen und derbe
Schuhe vollenden die kleidsame Uniform, zu welcher als weiterer Schmuck
noch der breite, mit dem Namenszuge gezierte Gürtel, der grüne Hosenträger
und das leicht geschlungene Halstuch tritt. Bekannt ist ihre Leidenschaft
für die Jagd und ihre Gewandtheit im Schießen, welche durch mit großen
Prämien begabte Schützenfeste genährt wird; weniger beachtet aber die
Thatsache, daß kein Land so viele, oft aus der tiefsten Armuth erstandene
Künstler und Gelehrte auszuweisen hat, wie Tirol (Peter Anich, Unterber¬
ger u. s. w.).
Auch Tirol, so genannt vom Bergschlosse Tirol (Teriolis) in Vintsch-
gau, war seit den Zeiten Augusts den Römern unterworfen und gehörte zu
Rhätien, Vindelicien und Noricum. Als die germanischen Völker die rö¬
mische Weltherrschaft zertrümmerten, war Tirol lange Zeit der Tummel¬
platz verschiedener Stämme, bis es endlich nach dem Sturze der Longobar-
den dem großen carolingischen Reiche einverleibt ward. Im Mittelalter
blieb Tirol lange unter vielen geistlichen und weltlichen Herrschern getheilt
und litt sehr durch ihre Fehden, bis es gegen das Ende des 13. Jahrhun¬
derts unter Mainhard Grafen von Görz vereinigt ward. Durch dessen
Enkelin Margarethe Maultasche kam es 1363 au das Habsburgische Haus
Oesterreich, dessen Fürsten, durch das Beispiel der benachbarten Schweizer
gewarnt, den Tirolern große Freiheiten gestatteten und dafür bis auf die
neuesten Zeilen als Lohn die unverbrüchlichste Treue derselben genossen.
Mehr als ein Mal hat Tirol, wichtig durch seine Lage zwischen Deutsch¬
land und Italien, der österreichischen Monarchie als Vormauer gedient. So
schon im spanischen Erbfolgekriege, wo die Franzosen vergebens hier vorzu¬
dringen suchten. Am herrlichsten hat sich der Muth und die Treue der
Tiroter im Jahre 1809 gezeigt, und der Name des unsterblichen Hofer
wird siets dem der edelsten Helden an die Seite gesetzt werden. Oesterreich
hatte, durch den unglücklichen Feldzug 1805 gezwungen, Tirol an Baiern
abgetreten; als aber der Feldzug 1809 vorbereitet wurde, zeigte sich die
gewaltigste Bewegung in Tirol, und Andreas Hofer, Sandwirth (sein
Gasthaus hieß Am Sande) im Passerthal, war die Seele aller Unterneh¬
mungen. Vom 11. bis 13. April 1809 war beinahe das ganze Land durch
seine Bewohner von den Baiern befreit und die Franzosen aus dem süd-
Blanc'S Handbuch II. 8te Aufl.
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