II. Guropa im Uebergange ans dem Mit¬
telalter in die Neuzeit.
(F. Guizot.)
1. Zum vollständigen Verständniß des fünfzehnten Jahrhunderts,
zu einer deutlichen und klaren Vorstellung von diesem Vorspiele des
neuern Gesellschaftsverbaudes bedarf es einer Klassifieirung der ver¬
schiedenen Thatsachen. Zuerst wollen wir die politischen Ereignisse,
die Thatsachen, welche Nationen oder Regierungsformen gebildet
haben, untersuchen, von diesen zu den moralischen übergehen, die in
der Ideenwelt, in den Sitten vorgegangenen Veränderungen erörtern,
und daraus abnehmen, was für allgemeine Ideen durch sie vorbe¬
reitet worden sind.
Was die politischen Thatsachen betrifft, so wollen wir ganz
einfach verfahren, alle großen Länder Europas durchgehen, und
herausheben, was das fünfzehnte Jahrhundert dazu gethan, in welchem
Stande es sie übernommen und wieder übergeben hat.
Mit Frankreich will ich den Anfang machen. Hier verflossen
die letzte Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts unter den großen Na¬
tionalkriegen gegen England. Das ist die Epoche des Kampfes für
die Unabhängigkeit des französischen Reiches und Namens gegen eine
fremde Botmäßigkeit. Schon ein Blick in die Geschichte zeigt uns,
mit welchem Feuereifer, alles Zwiespaltes und Verrathes ungeachtet,
alle Klaffen der Bevölkerung mit in diesem Kampf auftraten, von
welchem Patriotismus damals der Lehnsadel, der Bürger, ja sogar
der Bauernstand beseelt war. Und wenn nur aus der Geschichte der
Jungfrau von Orleans der volksthümliche Charakter des Ereignisses
Histor. Lesebuch TU. 2