Full text: Deutsches Lesebuch für Prima

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IV. 44. Herb art: 
44. 
Dev sittliche Eyavalrtev. 
Von Johann Friedrich Herbart. 
Allgemeine Pädagogik ans dem Zwecke der Erziehung abgeleitet (zuerst 1806). 
Drittes Buch, erstes und zweites Kapitel. — Sämtliche Werke, herausgegeben von 
Kehrbach, II (1885) S- 111 ff. Weggelassen ist ein Stück zwischen Absatz 23 und 
24 und ein Satz am Ende von Absatz 33. 
Erstes Kapitel. 
Was heißt Charakter überhaupt? 
1 Schon oben sahen wir den Willen an als den Sitz des Charakters; 
natürlich nicht die wandelbaren Wünsche und Launen, sondern das Gleich¬ 
förmige und Feste des Willens; das, wodurch er bestimmt dieser und kein 
andrer ist. Die Art der Entschlossenheit hieß uns Charakter: das, was 
der Mensch will, verglichen mit dem, was er nicht will. 
- In solcher Vergleichung bestimmt sich jedem Dinge seine Gestalt. Die¬ 
selbe wird heraus geh oben aus einer unbestimmt größeren Sphäre, sie 
wird erkannt durch Unterscheidung. Sonach ist der Charakter die Gestalt des 
Willens. Er kann nur aufgefaßt werden in dem Gegensatz zwischen dein, 
was er beschließt und was er ausschließt. 
3 Für den negativen Teil des Charakters haben wir zu unterscheiden den 
mangelnden Willen von dem verneinenden Willen. Ein mangelnder Witte, 
der aber entstehen könnte, würde zu den Unbestimmtheiten des Menschen ge¬ 
hören. Nur was als unvereinbar mit dem festen positiven Wollen 
schon dadurch ausgeschlossen ist: dies ist ebenso charakteristisch, als aus¬ 
drückliches Nicht-Wollen. Doch dient das letztere noch zur Befestigung. 
^ Man beobachtet den Menschen, um zu wissen, was man an ihm habe; 
man will ihn als Objekt fixieren. Er selbst empfindet das nämliche Be¬ 
dürfnis. Um begriffen zu werden, muß er begreiflich sein. Dies führt 
uns aus eine merkwürdige Unterscheidung. 
I. 
Objektiver und subjektiver Teil des Charakters. 
5 Es ist eine alte Klage, daß der Mensch oft gleichsam zwei Seelen habe. 
6 Er beobachtet sich, er möchte sich begreifen, sich gefallen, sich leiten. 
Aber, schon vor dieser Beobachtung, versunken in Sachen und Äußerlichkeiten, 
hat er einen Willen, und zuweilen sehr bestimmte Charakterzüge. Diese
	        
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