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Tell.
Kaiser und mich, der ich an seiner Stelle hier bin?" Tell will
sich rechtfertigen; doch der Vogt achtet nicht weiter darauf und
fährt fort: „Wie ich gehört, bist du ein guter Schütze. Hier
lege ich einen Apfel auf den Kopf deines Kindes, den schießt du
mir in einer Entfernung von hundert Schritten herunter. Triffst
du ihn nicht, so ist dein Kopf verloren." Tell erschrickt über
dies Ansinnen und bittet flehendlich den Landvogt, doch das nicht
von ihm zu verlangen, er wolle ja gern sein eigenes Leben für
sein Unrecht hingeben. Alles aber hilft nichts, und Tell muß
seinen Stand nehmen, wobei er zugleich in fürchterlicher Aufre¬
gung zwei Pfeile zu sich steckt. Hierauf zielt er — setzt ab und
zielt wieder. Da schwirrt die Sehne — und der Apfel fliegt
vom Pfeile getroffen von dem Kopf des Kindes. Die Umste-
henden jubeln laut auf, doch finstern Blickes tritt der Vogt zu
Tell und fragt ihn: „Weshalb stecktest du zwei Pfeile zu dir?"
Dieser zögert und will es nickt sagen. Da jedoch der Vogt von
Neuem in ihn dringt und ihm hierbei sein Leben zusichert, spricht
er: „Mit diesem zweiten Pfeile durchschoß ich dich, wenn ich mein
liebes Kind getroffen hätte; und eurer, wahrlich! hätt' ich nicht
gefehlt." Sofort befahl nun der Vogt, den Tell zu fesseln und
ihn über den Vierwaldstädtersee nach Küßnacht in's Gefängniß
zu bringen. Er selbst begleitete ihn. Bereits sind sie mitten auf
dem See. Da erhebt sich ein fürchterlicher Sturm und die Ge¬
fahr wächst mit jeder Minute. Bittend wendet sich der Fährmann
an den Vogt, doch den Tell entfesseln zu lassen, damit dieser das
Schiff lenke, denn der verstände es besser als er. Dies geschieht.
Beherzt stellt sich Tell an's Steuerruder, und das Schiff fährt
sicher dahin. Spähend wirst er aber hierbei zugleich seinen Blick
nach einem Felsaussprung, und als er selbigen bemerkt, lenkt er
das Schiff dort hin, erfaßt seine Armbrust und schwingt sich auf
den Vorsprung hinauf, indem er das Schiff mit einem kräftigen
Ruck von der Felswand zurückstößt. Erschrocken sieht es der Vogt,
ohne es hindern zu können. Zum Glück legt sich bald der Sturm,
und er kommt wohlbehalten am jenseitigen Ufer an. Racheschnau¬
bend besteigt er hier sein Roß, um zu Lande nach Aktors zurück¬
zukehren.
Während dessen kämpft Tell mit der größten Angst, was wohl
jetzt der Vogt gegen sein Weib und seine Kinder unternehmen
werde. Dies giebt ihm den Gedanken ein, den Vogt zu erschießen,
und so stellt er sich in der hohlen Gasse bei Küßnacht aus, wo
derselbe entlang kommen muß. Endlich naht dieser. Schnell
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