Vom westfät. Frieden bis zur ersten französischen Revolution. 201
Mit der größten Vorsicht antwortete sie auf die an sie gerichteten
Fragen und verrieth nie, daß sie besonderes Interesse für Jemanden
habe. Und doch leitete sie alle Angelegenheiten; sie besetzte alle Aemter
und wußte den König in dem Wahne zu erhalten, als entscheide er
einzig über Alles selbst. Frau von Maintenon hatte schon vorher die
Minister zu bestimmen gewußt.
Uebrigens fühlte sie sich keineswegs glücklich. Die Männer, welche
sie zu den höchsten Ehrenstellen empor gehoben hatte, waren ihren
Stellungen nicht gewachsen; das Reich war erschöpft und entvölkert,
sein Ansehen sogar geschwunden. Sie fühlte, daß man sie nicht liebte,
sie haßte den Aufwand, der sie beständig umgab, empfand die ab¬
hängige Stellung, in der sie lebte, sehr drückend, und mußte zu Allem,
was ihr mißsiel, schweigen. Je älter der König wurde, desto schwieriger
ward es ihr, einen Mann zn unterhalten, welcher der Unterhaltung
nicht mehr fähig war. Oft sehnte sie sich in ihre frühere Dürftigkeit
zurück und rief aus: „Wenn ich doch dies Land verlassen könnte!"
Als Ludwig XIV. auf dem Sterbebette ihr das letzte Lebewohl sagen
wollte, sprach er weinend: „Nur Sie verlasse ich ungern; ich habe
Sie nicht glücklich machen können; aber alle Empfindungen der Hoch¬
achtung und Freundschaft, die Sie verdienen, habe ich stets gegen Sie
gehegt. Was mich bei unserer Trennung tröstet, ist die Hoffnung auf
eine baldige Wiedervereinigung in der Ewigkeit." Bald darauf starb
der König. Frau von Maintenon hatte sich auf seinen Wunsch nach
St. Chr zurückgezogen, wo sie die Todesbotschaft empfing. Sie weinte
nicht, aber betete; ein tiefer Schmerz durchdrang ihre Seele. Alsbald
schaffte sie ihre Hofhaltung ab, beschränkte ihre Mahlzeit auf eine
Schüssel und versagte sich sogar die Tasse Chocolade, welche bis zum
Todestage des Königs ihr Abendessen gewesen war. Ihre ganze Ein¬
nahme ward den Armen gespendet. „Das Vergnügen zu geben ist das
Einzige was mir noch übrig bleibt", pflegte sie zu sagen. Sie theilte
ihre Zeit zwischen Andachtsübungen und der Erziehung einiger Zöglinge,
die sie selbst auf ihrem Zimmer unterrichtete. Ein bösartiges Fieber
ward immer heftiger und warf fie auf das Sterbelager. Alles um sie
her weinte; sie allein blieb ohne Thränen. „Wie geht es", fragte sie
in der Sterbestunde der Herzog von Noailles „„Nicht zum Besten,""
erwiderte sie gelassen. „„Lebt wohl, mein lieber Herzog, in wenig
Stunden werde ich mehr wissen."" In wenigen Minuten war sie
verschieden. Sie hatte ein Alter von 84 Jahren erreicht; ein Denkmal
in der Kirche zu St. Chr bezeichnet ihre letzte Ruhestätte.
Frau von
Maintenon
stirbt zu St.
Cyr 1719