22
zu verrichten. Als er wieder ausstehen und stch entfernen
wollte, nahte sich ihm der Papst Leo III. mit einer gold-
nen Krone in der Hand und setzte sie ihm ans's Haupt,
und das in Menge versammelte Volk rief: „Karolns
Augustus, von Gott gekrönter, großer sriedebringender Kai¬
ser der Römer! Ihm langes Leben und Sieg!" Sogleich
schmetterten die Trompeten und Posaunen; helle Musik
ertönte in den tausendfachen Jubel des Volkes, und ein
zahlreicher Chor stimmte den Krönungsgesang an. So
wurde das weströmische Kaiserthnm durch Karl
den Großen erneuert, nachdem die Würde eines rö¬
mischen Kaisers seit der Entthronung des letzten Kaisers
durch Odoaker, also seit 324 Jahren, geruht hatte. Das
Reich Karls des Großen erstreckte sich auch in der That
über den größten Theil des alten Römerreiches in Europa:
denn es gehörten dazu Italien, Frankreich und Spanien
bis zum Ebro und auf der andern Seite die Länder bis
an die Nordsee, die Elbe und die Raab.
Karl war ein großer, schöner Mann. In früher Ju¬
gend hatte er nach fränkischer Sitte seine Körperkraft ge¬
übt und war der beste Fechter und der beste Schwimmer.
Er hatte eine hohe klare Stirn und überaus große leben¬
dige Augen, die dem Freunde und Hülfesuchenden freund¬
lich, dem Feinde aber furchtbar leuchteten. In seiner
Lebensweise war er sehr mäßig und verabscheute besonders
die Trunkenheit. Die einfache Lebensweise erhöhte außer¬
ordentlich die Körperkraft des gewaltigen Mannes, und er
soll so stark gewesen sein, daß er einen geharnischten Mann
aufhob, wie ein Kind. Seine Kleidung war ebenfalls sehr
einfach. Sein Gewand war von den fleißigen Händen
seiner Gemahlin und seiner Töchter verfertigt. Ausländi¬
schen Putz und Flitterwerk in der Kleidung konnte er nicht
leiden. Einige seingepntzte Herren seines Hofes nahm er
einst bei Regen und Schneegestöber mit auf die Jagd und
schleppte sie durch Sümpfe und Dorngestrüpp. Arg zuge¬
richtet kehrten sie zurück und hüteten sich wohl, wieder so
übermäßig geputzt vor dem Kaiser zu erscheinen. Des
Nachts stand Karl öfters von seinem Lager auf, nahm
Schreibtafel und Griffel, um sich in der früher versäum-