Full text: Vaterländische Geschichte

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zu verrichten. Als er wieder ausstehen und stch entfernen 
wollte, nahte sich ihm der Papst Leo III. mit einer gold- 
nen Krone in der Hand und setzte sie ihm ans's Haupt, 
und das in Menge versammelte Volk rief: „Karolns 
Augustus, von Gott gekrönter, großer sriedebringender Kai¬ 
ser der Römer! Ihm langes Leben und Sieg!" Sogleich 
schmetterten die Trompeten und Posaunen; helle Musik 
ertönte in den tausendfachen Jubel des Volkes, und ein 
zahlreicher Chor stimmte den Krönungsgesang an. So 
wurde das weströmische Kaiserthnm durch Karl 
den Großen erneuert, nachdem die Würde eines rö¬ 
mischen Kaisers seit der Entthronung des letzten Kaisers 
durch Odoaker, also seit 324 Jahren, geruht hatte. Das 
Reich Karls des Großen erstreckte sich auch in der That 
über den größten Theil des alten Römerreiches in Europa: 
denn es gehörten dazu Italien, Frankreich und Spanien 
bis zum Ebro und auf der andern Seite die Länder bis 
an die Nordsee, die Elbe und die Raab. 
Karl war ein großer, schöner Mann. In früher Ju¬ 
gend hatte er nach fränkischer Sitte seine Körperkraft ge¬ 
übt und war der beste Fechter und der beste Schwimmer. 
Er hatte eine hohe klare Stirn und überaus große leben¬ 
dige Augen, die dem Freunde und Hülfesuchenden freund¬ 
lich, dem Feinde aber furchtbar leuchteten. In seiner 
Lebensweise war er sehr mäßig und verabscheute besonders 
die Trunkenheit. Die einfache Lebensweise erhöhte außer¬ 
ordentlich die Körperkraft des gewaltigen Mannes, und er 
soll so stark gewesen sein, daß er einen geharnischten Mann 
aufhob, wie ein Kind. Seine Kleidung war ebenfalls sehr 
einfach. Sein Gewand war von den fleißigen Händen 
seiner Gemahlin und seiner Töchter verfertigt. Ausländi¬ 
schen Putz und Flitterwerk in der Kleidung konnte er nicht 
leiden. Einige seingepntzte Herren seines Hofes nahm er 
einst bei Regen und Schneegestöber mit auf die Jagd und 
schleppte sie durch Sümpfe und Dorngestrüpp. Arg zuge¬ 
richtet kehrten sie zurück und hüteten sich wohl, wieder so 
übermäßig geputzt vor dem Kaiser zu erscheinen. Des 
Nachts stand Karl öfters von seinem Lager auf, nahm 
Schreibtafel und Griffel, um sich in der früher versäum-
	        
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