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wie bei einem gesunden Menschen, der ordentlich schläft; auch be¬
merkte man nirgend, daß er blutrünstig war. Mariechen weinte
häufige Thränen auf sein Angeficht und jammerte beständig: Ach,
mein Vater! mein Vater! Heinrich saß zu seinen Füßen im
Staube, weinte und heulte. Indessen kam Margarethe auch
hinzu; fie fiel neben ihm nieder auf die Knie, faßte ihren Mann
um den Hals, rief ihm mit ihrer gewohnten Stimme ins Ohr,
aber er gab kein Zeichen von fich. Die hcldenmüthige Frau stand
auf, faßte Muth; auch war keine Thräne aus ihren Augen ge¬
kommen. Einige NachbareN waren indeß hinzugekommen; vergos¬
sen alle Thränen; denn er war allgemein beliebt gewesen. Mar¬
garethe machte geschwind in der Stube ein niedriges Bett zu¬
recht; fie hatte ihre besten Betttücher, die fie vor etliche und vier¬
zig Jahren als Braut gebraucht hatte, übergebreitet. Nun kam fie
ganz gelassen heraus und rief: Bringt nur meinen Eberhard
herein aufs Bett.. Die Männer faßten ihn an; Mariechen
trug am Kopfe und Heinrich hatte beide Füße in seinen Ar¬
men; fie legten ihn aufs Bett, und Margarethe zog ihn aus
und deckte ihn zu. Er lag da, ordentlich wie ein gesunder Mensch,
der schläft. Nun wurde Heinrich beordert, nach Florcnburg zu
laufen, um einen Wundarzt zu holen. Der kam auch denselben
Abend, untersuchte ihn, ließ ihm zur Ader und erklärte, daß
zwar nichts zerbrochen sei, aber doch sein Tod binnen drei Tagen
gewiß sein würde, indem sein Gehirn ganz zerrüttet wäre.
Nun wurden Stillings Kinder alle sechs zusammenberufen,
die fich auch des andern Morgens, Donnerstags, zeitig einfanden.
Sie setzten fich alle rings um das Bett, waren stille, klagten
und weinten. Die Fenster wurden mit Tüchern zugehängt, und
Margarethe wartete ganz gelassen ihrer Hausgcschäfte. Freitag
Nachmittag fing der Kops des Kranken an zu beben, die oberste
Lippe erhob fich ein wenig und wurde bläulich, und ein kalter
Schweiß duftete überall hervor. Seine Kinder rückten näher um
das Bett zusammen. Margarethe sah es auch; fie nahm ei¬
nen Stuhl und setzte fich zurück an die Wand ins Dunkle; alle
sahen vor fich nieder und schwiegen. Heinrich saß zu den Fü¬
ßen seines Großvaters, sah ihn zuweilen mit nassen Augen an
und war auch stille. So saßen fie alle bis Abend neun Uhr.
Da bemerkte Katharine zuerst, daß ihres Vaters Odem still
stand. Sie rief ängstlich: Mein Vater stirbt. Alle fielen mit ih-
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