49
doch möchte die Mehrzahl in den Monaten November bis März
ihre Blüthen entfalten, und von Juni bis September ihre Früchte
reifen. Jener Stillstand aber, welcher während des nordischen
Herbstes und Winters den Wald seines Laubes entkleidet, wird
hier niemals beobachtet; mag auch ein Baum auf einmal des al¬
ternden Blätterschmuckes beraubt werden, so wird er doch dadurch
nicht kahl; denn neue Knospen ersetzen augenblicklich den eingetre¬
tenen Verlust. Einem so unendlichen Lebenstriebe entspricht auch
die Fülle und Pracht der Früchte, und man kennt in dieser glück¬
lichen Breite nur dem Namen nach Mißwachs und Mangel. Un¬
ter dm Anschauungen einer solchen Natur muß jeder Fühlmde zu
höherer Frische deS Gemüthes erstarken. Die großartige Harmonik
der Weltkräfte, welche, ihm überall entgegentretend, gleichsam die
sittliche Aufgabe deS Mmschen symbolisirt, erfüllet mit Lebensmuth,
Hoffnung und Heiterkeit die Seele.
(K. I. Ph. v. Marti«».)
XU. Die Mongolen.
2m Norden der großen Bucharei und der Wüste Gobi (#), im
Süden Sibiriens, zieht sich durch das mittlere Asien'eine ungeheure
Ebene hin, im Durchschnitt wohl 50 bis 100 Meilen breit und
über 300 Meilen lang. Sie liegt ungefähr unter denselben Gra¬
den der Breite, wie die herrlichen lombardischen Ebenm; aber welch
ein Unterschied der Natur und der Mmschen! Jenes scheinbare
asiatische Flachland ist der Wahrheit nach ein Gebirge, ein ebmeS
Hochland, welches überall mehrere tausend Fuß, ja so hoch über
der Meeresfläche erhaben ist, wie die höchsten europäischen Alpen¬
wohnungen. Nur nach der Nordwestseite ragen die Riesenberge deS
großm Altai noch weit über dieses Hochland hervor; nach den mei¬
sten anderen Seitm zeigt sich hingegen ein gewaltiger Abfall in
tiefere Länder. Steigt man von diesen aufwärts, so führt der
Weg durch Thäler, in die sich wilde Bäche hinabstürzen, zwischen
losgerissme Massen und schroffe Berghäupter hindurch. Hat man
aber mdlich die Höhe erreicht, so verschwindet alle Mannichfaltig-
*) Oder Cobi. Das Wort bezeichnet in der mongolischen Sprache
überhaupt »jede wasser- und graslose Steppe». H.
Ul.
4