Kap. 36. § 219. Flucht des Kaisers. 339
und Reütti (in der Nähe der Ehrenberger Klause) eine Truppenmacht ver¬
sammelte, zersprengte Moritz die bei Reütti aufgestellten Truppen des
Kaisers, erstürmte die Klause, über die ihm ein Schäfer einen geheimen
Pfad gezeigt hätte, und wollte den Kaiser in Innsbruck gefangen nehmen.
Da aber schrie sein Kriegsvolk nach dem Ehrensold, der nach altem Her¬
kommen Sturmlaufenden zukam, und wollte, da es nicht gleich befriedigt
wurde, die Waffen gegen Moritz wenden, der sich nur durch die Schnellig¬
keit seines Pferdes vor ihren Spießen und Schüssen rettete.
Dieser Aufenthalt verschaffte dem Kaiser Zeit, am 20. Mai bei Nacht
aus Innsbruck zu entkommen und über das Tiroler Gebirg nach Villach
in Kärnten zu fliehen. Tags zuvor hatte er dem gefangenen Johann
Friedrich seine Freiheit angekündigt.
Die Flucht des Kaisers erfolgte in der Nacht bei einem Regensturm: man zog
meist durch ungebahnte Gebirgspfade, der Kaiser wegen seiner Gicht in einer Senfte,
Ferdinand mit dem Hofstaat zu Pferd, manche zu Fuß, Diener mit Fackeln voran.
Die Freilassung des Kurfürsten war unter der Bedingung geschehen, daß dieser noch
eine Zeitlang freiwillig dem Hoflager folge, und am andern Morgen reifte Johann
Friedrich, bort dessen Tür die spanische Wache in der Nacht abgezogen war, dem
Kaiser gewissenhaft nach, wobei er in der Freude seines Herzens ein geistliches Danklied
anstimmte. Da er dem kaiserlichen Zuge nur mit großer Anstrengung nachkommen
konnte, sagte er scherzend: „Ich wollte ja gern dem Hos nicht entlaufen, wenn der Hos
mir nicht entliefe." Als er den Zug erreichte, und der Kaiser, um ihn zu sprechen,
an einer breiten Wegstelle hielt, ging Johann Friedrich auf ihn zu, dankte ihm
für die Freiheit und erbot sich zu Dienst und Gehorsam, worauf der Kaiser, der ihn
um seines standhaften Glaubens und feiner großen Redlichkeit willen schätzen gelernt
hatte, fein Haupt entblößend und ihm die Hand reichend, in deutscher Sprache sagte:
er habe ihn gern erledigt und wolle ihm auch fürderhin ein gnädiger Kaiser bleiben.
Auf der Weiterreise nach Villach äußerte der Kaiser zu Lazarus Schwendt: „Ich
habe es mit den Deutschen gut gemeint, aber bei keinem Teile Dank verdient: bei den
Katholiken nicht, denn wenn ich es diesen zu Gefallen hätte machen sollen, so hätte ich
dem Kurfürsten müssen den Kopf abschlagen lassen; bei den Lutherischen auch nicht, darum
will ich sie Gott befehlen, der mag es gut machen."
Am 23. Mai besetzte Moritz Innsbruck, überließ die Habe des Kaisers
seinen Soldaten zur Beute, die Habe Ferdinands aber und das Eigentum
der Bürger verschonte er. Darauf kehrte er mit seinem Heere zurück, ver¬
legte es ins Eichstädtische und begab sich nach Passau zur verabredeten
Fürstenversammlung.
Unterdessen hatte das Konzil sich auf zwei Jahre für suspendirt erklärt,
und die Prälaten waren, in der Meinung, Moritz' Zug gelte Trient, aus
einander geflohen.
220. Cs stand nun ein langwieriger und gefährlicher Krieg in Aussicht;
aber König Ferdinand, der es stets mit den Deutschen besser gemeint
hatte, teilte seines Bruders Ansichten und Entwürfe nicht und sah ein, daß
ein Konzil, wie das Tridentiner, die Protestanten nie beruhigen werde.
Seiner Zusage gemäß trat er daher zu Passau mit den sechs Kur¬
fürsten Deutschlands, mit den Herzogen von Jülich, Pommern und
Württemberg, sowie auch mit dem Herzog Albrecht V von Baiern,
dem Herzog Heinrich von Braunschweig und noch andern katholischen
Fürsten zusammen, die alle einsahen, daß man an die Vernichtung
des Protestantismus nicht mehr denken könne.
Die Frage, „ob ohne Oberhoheit des Papstes oder eines Konzils ein
friedliches und sicheres Dasein möglich sei", bejahten jetzt geistliche und welt-
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