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das erste Volk unter der Sonne — o gewiß, sie müssen jetzt nah' an
die Gottheit grenzen! — Daß ich sie sehen könnte! Wenig Minuten
noch, und der Eintritt der ersten Stunde nöthigt mich wieder zur
Unterwelt hinab, von der ich vielleicht in den nächsten 1800 Jahren
mich nicht entfernen und in deren weiten Einöden ich nur mit mir selbst
schwatzen darf, weil's dem Murrkopf Minos scheint, als hätt' ich hier
oben eh'mals dann und wann zu viel gesprochen."
Der Deutsche lächelte. „So," sagt' er, „wie ich bin, sind alle
meine Landsleute, oder könnten's wenigstens sein. — Gefallen wir dir also,
so wie wir zu euch kommen?"
„Allerdings."
„Und du möchtest gern sehen, wie die Deinigen, oder wenigstens
deren größter Theil zu uns kommt?"
„O, für mein Leben gern!"
„Nun, so wart' einige Augenblicke! Ich versteh'ein wenig Magie.
Dir zu Gefallen, will ich sie nützen."
Er winkte, und sogleich erschien auf jeder Seite der Gasse ein
Savoyard: „Kauft Hecheln, kauft!" — „Schön Schattenspiel an der
Wand! Schöne Margaritha! Wer schaut?" — so schallt' es aus
Beider Munde.
„Sieh!" fuhr der Deutsche fort, „sieh, Cicero, so kommen deine
Nachkommen, die eh'maligen Herrscher der Welt, die ersten unter den
Menschen, das Volk mit dem' mächtigen Vorsprunge, so kommen sie
größtentheils zu uns! — Gefallen sie dir?"
Der Geist verstummte; denn eben schlug es ein Uhr, und er
schien mit Unwillen von dannen zu fliehn.
Aber mit noch größerem standen die edlen Venetianer auf, beur¬
laubten sich mit kaltem Lächeln, und hätten vielleicht bald sich durch die
That gerächt, wäre nicht Prinz und Kammerherr schon des nächsten Tages
verschwunden. A. G. Meißner.
38. Das Seetreffen bei Nacht.
Um ihren ausgebreiteten Handel kräftiger zu schützen, rüstete die
ostindische Compagnie in Holland im Jahre 1615 eine Flotte von sieben
Schiffen aus und untergab sie dem Befehl eines sehr geübten Seemannes,
des Joris van Spielbergen.
Der königlich spanische Rath in Peru hatte jedoch hiervon kaum
Nachricht erhalten, als er diese Flotte, die ihm trotz ihrer geringen
Schiffzahl dennoch höchst gefährlich schien, auf jede mögliche Weise zu
vernichten beschloß und, weil er den geübten Holländern auf offner See
nicht zu begegnen wagte, es vorzog, ihnen in den Häfen aufzulauern,
um sie dort von der Land- und Seeseite zu gleicher Zeit angreifen
zu können.
Nur der spanische Admiral, Don Rodrigo, ein Verwandter des
Dicekönigs in Peru, setzte diesem bedachten Plane seinen jugendlichen
Uebermuth entgegen und versicherte, daß er (so lauteten seine eigenen
Worte) diese jungen holländischen Hunde und verzagten Bruthühner
bloß mit zwei Schiffen einzufangen sich getraue, zumal sie, sichern Nach¬
richten zufolge, bei der Durchfahrt in der Magellanischen Straße einen